Die Leidenschaft der Geschichte

Ana Lydia Vega: Die Leidenschaft der Geschichte und andere leidenschaftliche Geschichten. Puertoricanische Erzählungen.

Vierzehn Erzählungen und einen Kurzroman vereint dieser Band leidenschaftlicher Geschichten.

Die Autorin

Die neuere Literatur Puerto Ricos wird von Frauen dominiert, eine dieser engagierten Autorinnen ist Ana Lydia Vega, 1946 in Santurce geboren. Ihre Schulausbildung erhielt sie in englischer Sprache, ihr Studium schloss sie in Frankreich mit einer Promotion über den „Mythos des Königs Christophe im Theater der Antillen und der Vereinigten Staaten“ ab. Heute lehrt sie als Professorin an der Staatsuniversität Puerto Ricos und ist seit 1970 journalistisch und schriftstellerisch tätig. Ihr bisheriges erzählerisches Werk umfasst fünf Bände mit Erzählungen und Novellen und zwei Essaybände. Ihre Geschichten sind stilistisch und thematisch sehr unterschiedlich gestaltet und immer wieder überraschend, Ana Vega experimentiert gerne, hat die Klaviatur verschiedener Ausdrucksmöglichkeiten aber sicher im Griff. Krimis liebt sie sehr, den leidenschaftlichen Geschichten ist ein Zitat Hitchcocks vorangestellt: „Was ist letzlich Dramatik wenn nicht Leben, aus dem man alles Langweilige herausgenommen hat.“

Inhalt

Die Geschichten dieses Bandes verbindet die unterschiedlich geartete Leidenschaftlichkeit der Protagonisten. In „Wahre Leidenschaft“ bleibt ungeklärt, ob der Ehemann, passionierter Jäger, seine Frau erschoss – und vielleicht auch die Erzählerin? Es gibt die, spasshaft gemeinte?, Fotografie der Ehefrau, die mit heraushängender Zunge neben einem toten Gämsbock liegt. Ist der Nachbar in „Details“, den der Junge als Anlass nimmt mit seiner Angebetenen zusammen zu sein um endlich „zum Schuss“ zu kommen und seine Jungfräulichkeit loszuwerden, vielleicht doch ein Mörder? Was ist in dem Päckchen, dass die Ehefrau der Geliebten ihres Mannes vor die Tür legt ? Wenn man hier noch einiges zu wissen glaubt, so sind die Rätsel in „Das Stück Wegs“ ungelöst, die der geheimnisvolle Mulatte der ahnungslosen Gruppe spanischstämmiger Reisender aufgibt – 1868, am Vorabend des Aufstandes gegen die spanische Herrschaft. Ebenfalls in der historischen Vergangenheit angesiedelt ist der Kurzroman „Miss Florences Truhe“. Eine englische Governess kommt auf eine puertoricanische Zuckerplantage und erlebt, in die Geschichte verstrickt, den Niedergang der Familie mit. Die Brontë-Schwestern standen hier Pate, in gewisser Weise werden sie jedoch wieder – auf sehr spannende, Lesevergnügen bereitende Art – parodiert. Der Schluss ist, wie so oft bei Ana Vega, offen. In „Geschichten auf dem Wege“ verlangt ein Taxifahrer Stories von seinen Fahrgästen, um nicht einzuschlafen; eine Finte, wie man am Schluss erfährt. Die Fahrgäste erzählen, kommentieren, spinnen weiter, und die Erzählerin eilt nach Hause, um alles aufzuschreiben, auch wenn sie dadurch den Avancen eines netten jungen Mannes nicht Folge leisten kann. So entstehen Geschichten!

Fazit

Langweilig sind ihre Geschichten keinen Moment. Die Sprache ist mal deftig bis vulgär- Gassenslang, mal Jugendsprache bis hin zu lyrischen Momenten. Anklänge an Kitschromane, politische Diskussionen, Satire, Humor, Parodie – und trotzdem sind die Geschichten nicht beliebig, sie wirken wie aus einem Guss. Ana Lydia Vega hat etwas zu sagen, und sie hat eine Meinung: sie ist auf seiten der Frauen gegen den Machismo ihrer Heimat, verachtet neben brutalen Männern aber auch dumme Frauen.

Karibische Literatur ist in Deutschland immer noch weitestgehend unbekannt, Ana Lydia Vegas Geschichten sind für Neugierige ein guter Anfang.

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