Kein ganz gewöhnliches Leben

Kein ganz gewöhnliches Leben von Baby Halder

Inhalt
„Kein ganz gewöhnliches Leben“, eine direkte Übersetzung des englischen Titels „A life less ordinary“ ist eigentlich der falsche Titel für den Lebensbericht der Baby Halder. Für Millionen Menschen, besonders im südlichen Teil der Welt, ist das Leben der Baby Halder ein ganz gewöhnliche Leben, eines, das so gewöhnlich ist, dass niemand es für nötig findet, darüber mehr als nur ein Wort zu verlieren. Es geht um die Banalität der Armut, ein Leben ohne Toiletten, ohne Privatsphäre, ohne Rechte.

Eigentlich ist es ein Wunder, dass es hier einer dieser Millionen Bitterarmen, Entrechteten gelungen ist, eine Stimme zu finden und uns etwas von sich zu erzählen, von ihrer Lebenswirklichkeit, die wir uns kaum vorstellen können. Ich meine damit, dass es nahezu ein Wunder ist, dass Baby ihre Lebensgeschichte erzählen kann, dass ihr Buch gedruckt wird, sogar übersetzt. Dass ihr Leben so verlief, wie es verlief, ist kein Wunder, es ist eine Schande.

Baby, die ihren wirklichen Namen nicht kennt, falls sie denn je einen hatte, wächst bei ihrem lieblosen Vater auf, nachdem die Mutter eines Tages ohne ein Wort die Familie verlassen hat. Da war Baby vier. Die ältere Schwester, die die drei kleineren Geschwister versorgen könnte, wird gegen ihren Willen verheiratet, die Kleinen bleiben allein. Mit kaum 13 Jahren wird sie an einen mehr als doppelt so alten Mann verheiratet, der sie wie ein Tier behandelt. Bereits mit 14 ist sie Mutter, als die Wehen einsetzen, schläft ihr Mann einfach weiter.

Mit 25 Jahren hat sie drei Kinder für die sie ganz allein verantwortlich ist. Trotzdem findet sie den Mut ihren verrohten Mann, der sie gnadenlos verprügelt, zu verlassen, sich mit ihren Kindern einfach in einen Zug nach Delhi zu setzen, um sich dort als unterbezahlte und ausgebeutete Hausangestellte durchzuschlagen. Ihr Schicksal wendet sich erst, als sie für einen Mann arbeitet, der ihren Bildungshunger und ihr kreatives Potential entdeckt. Ihr Chef, der emeritierte Anthropologie-Professor Prabodh Kumar, ein Enkel des berühmten indischen Schriftstellers Premchand, ermutigte sie, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Als er gesehen hatte, dass sie beim Abstauben der Bücher die Titel interessiert anschaute, fragte er sie, ob sie lesen könne. Als sie bejaht, wenn auch zögernd, leiht er ihr Bücher – aber Lesen und Schreiben kann sie erst nach der Arbeit und wenn ihre Kinder schlafen – welche Energie!

Fazit
Baby Halders Geschichte ist keine hohe Literatur, die Sprache ist einfach, die Geschichte geradlinig erzählt – und doch ist es ein sehr wichtiges Buch. Baby Halder erzählt nicht anklagend, ohne Tränen, aber mit Wut im Bauch, Wut über den Vater, der mehr Schläge als Essen für seine Kinder hatte und Monate lang einfach verschwand, ohne sich um die Kinder zu kümmern, ob sie verhungern oder nicht. Und Wut auf den Mann ihrer Schwester, der seine Frau ungestraft zu Tode prügeln kann. Baby Halders Geschichte ist in Indien ein Bestseller geworden, Baby Halder eine Berühmtheit. Im Westen vergleicht man ihr Buch mit Frank McCourts „Die Asche meiner Mutter“, dem „Armutsklassiker“ aus Irland. McCourt beginnt seine Erzählung mit der rhetorischen Frage, was denn noch schlimmer sein könne als eine arme, irische, katholische Kindheit – als mutterloses Mädchen in den Slums von Kalkutta aufzuwachsen ist es womöglich, das weiß man nach der Lektüre von Baby Halders Buch ganz gewiss.

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