Mein Weg in die Entspannung

Norman Schmid: Mein Weg in die Entspannung: ausgeglichen, beschwerdefrei und leistungsfähig

Angespanntes Entspannen

Manchmal kann man die Quintessenz eines Buches an einer bestimmten Stelle gleich dem Kopf einer Stecknadel im Heuhaufen zusammengefasst wiederfinden. Im vorliegenden Fall des Buches Mein Weg in die Entspannung des Psychologen Norman Schmid sind es die berühmten Formeln des autogenen Trainings, die all das ausdrücken, was dieses Buch ausmacht oder vielleicht eher nicht ausmacht. Die Formeln lauten: Ich bin ganz schwer, mein rechter Arm ist schwer etc. Und das ist die Essenz? Das ist sie und um es zu verdeutlichen sei hier eine alternative Formel für das Autogene Training zitiert: Schwere, rechter Arm schwer etc. Erkennen Sie den Unterschied?

Das Wörtchen Ich hat auch in den Methodiken der Entspannung einen hohen Stellenwert und je nach Ausrichtung versucht man eben sich dieser häufig problematischen Selbstinszenierung zu entziehen oder aber merkt gar nicht, dass man trotz allen gut gemeinten Vorhabens seine eigene Problematik – die des Ichs nämlich – noch verstärkt. Letzteres muss man leider für dieses Buch konstatieren, das an sich zunächst einen richtig gelungenen Überblick über die Phänomene Stress und Entspannung sowie deren biologische und psychosomatische Ursachen und Wechselwirkungen zeigt.

Darüber hinaus – dem Filetstück dieses Buches – werden dann die momentan wohl gängigsten und erfolgreichsten Entspannungsmethoden theoretisch und vor allen Dingen auch praktisch vorgestellt (sehr schön ist dafür auch die beiliegende Audio-CD mit Anleitungen): Atemtraining, PMR,  Autogenes Training, Achtsamkeit, Imagination und Biofeedback sind die Leitsterne dieses Buches und sie sind allesamt zu empfehlen und intelligent dargestellt. Besonders hervorzuheben ist die Möglichkeit des Selbsttests, mit dem man sein eigenes Stress- und Entspannungsmanagement besser kennenlernen kann. Dieses Begleitheft ist sicherlich innovativ und das Beste am Buch selbst.

So schön sich das alles anhört, so selbstbezogen und der Hörigkeit modernen wissenschaftlichen Denkens ist das alles unterworfen. Sämtliche Analysen und Erklärungen sind mit wissenschaftlichen Tests, Studien und akademischem Vokabular erklärt, in Einleitung und im Einband sind es Professoren und Doktoren, die sich für die Wirksamkeit dieser Methoden stark machen, die – so das Credo des Autors – dem Menschen helfen, Entspannung zu erlernen. Entspannung lernen? Hallo? Das müssen Menschen nicht lernen. Sie können aufhören, sich selbst wichtig zu nehmen, dann gesellt sich das automatisch ein, was die Natur bereit hält – das richtige Maß oder biologisch unschön ausgedrückt: Homöostase.

Bitte nicht falsch verstehen. Das Buch an sich ist profund, reichhaltig und gut gemacht, aber die kleinen, subtilen Botschaften, die gerade in der Entspannung so viel ausmachen können, die Fotografien von ausnahmslos  schönen, immer geschminkten Frauen weisen einen ganz anderen Weg, nämlich den, in einer Leistungsgesellschaft mit dem kleinen Happen Entspannung noch besser funktionieren zu können. Das ist nicht Leben, sondern Konsum.

Fazit:

Wärmstens zu empfehlen ist Rene Descartes Discours de la Methode, wenn er – der Begründer des großen wissenschaftlichen Ichs – mit flammenden Eifer für die moderne Medizin plädiert, wie sie den Menschen mechanisch beherrscht, wie alles, auch die Entspannung!, mathematisiert, analysiert und verifiziert werden muss. Das war vor fast 400 Jahren. Er darf sich glücklich schätzen; es ist alles so gekommen, wie er es wollte. Nicht nur in der offensichtlichen Krankheit moderner Lesitungsideologie, sondern auch dort, wo man vermeintlich dagegen steuern will.

Schreibe einen Kommentar