Meridian-Übungen bei psychosomatischen Beschwerden

Lin Cong: Meridian-Übungen bei psychosomatischen Beschwerden

Altes Wissen medizinisch modernisiert

Das ist ja mal eine Überraschung. Statt des hundertsten Buches über die Meridiane der chinesischen Medizin, das zwar schulmedizinischen Pauschalargumentationen überlegen sein mag, aber nicht immer direkt nachvollziehbar ist, bietet uns der Maudrich-Verlag mit dem chinesischen Autor Lin Cong eine echte Sensation.

Denn die plakativen, häufig von Westlern ungefragten Ideen, Meinungen und Verständnisse, die sich über das ganze Wesen der chinesischen Medizin und der Meridiane im Speziellen gelegt haben, werden durch eine wissenschaftlich exakte und dennoch integrative Argumentation revidiert.

Des Autors Studium der Schulmedizin und auch der klassischen chinesischen Medizin bieten den theoretischen Unterbau für ein äußerst interessantes und innovatives Buch.

Auf populärwissenschaftlicher Basis wird erstmals seit Beginn der spirituellen Osterweiterung nach dem zweiten Weltkrieg das Meridiansystem von einem Eingeweihten selbst höchst professionell durchleuchtet und verstanden.

Keine unsichtbaren Röhren, sondern Verschaltungsareale sind die Meridiane nun – eine neurobiologische Grundlage, wie man sie eigentlich so noch gar nicht gefunden hat.

Da werden neueste neuroanatomische Erkenntnisse mit dem ehrwürdigen Wissen der chinesischen Ganzheitslehre verbunden, höchst informativ und gekonnt.

 Bisweilen reibt man sich verwundert die Augen, versucht man den sehr intensiven Ausführungen über die Meridiantransmissionen (so der neue, weil neurologisch plausiblere Begriff), also  Verschaltungsstellen, mit afferenten, efferenten, pyramidalen oder extrapyramidalen Effekten zu folgen – höchstes medizinisches Niveau also.

Auch die Demission der einfachen Analogie der Organverbindungen wird sinnig und plausibel eingeleitet. Wie wenig der Dickdarmmeridian mit dem Dickdarm zu tun hat, wird verständlich, führt aber im Umkehrschluss nicht dazu, das System zu hinterfragen, sondern Definition, Bezeichnung und Funktionalität klarer und anwendungsfreundlicher zu sehen.

Nur im Bereich der psychosomatischen Medizin wirkt die Einleitung manchmal verwirrend, denn eigentlich sollte man von Cong doch erwarten, dass er diese als einzig mögliche medizinische Grundanamnese akzeptiert, stattdessen aber laviert er sich argumentatorisch ungeschickt zwischen Schlagwörtern wie Zivilisationskrankheiten, somatischen Kernbereichen und psychosomatischer Priorität.

Dennoch lohnt sich auch dieser Bereich, denn er ist für Ungläubige oder extreme Cartesianer sicherlich wohltuend anders.

Obwohl quantitativ gar nicht so ausufernd, hinterlässt die theoretische Einführung mächtig Eindruck, die praktischen Übungen, die den Großteil des Buches ausmachen, stehen dem in nichts nach.

Wobei die anfänglich propagierte biomechanische Ausgeglichenheit (als oberstes Ziel) besonders mit der Standardübung des Bogens ein wenig konterkariert wird, schafft sie doch extreme Lastarmungleichgewichte im Rumpf und sollte so mir nichts dir nichts nicht einfach mal ausgeführt werden.

Wer behutsam an den Start geht, der hat dann aber auch richtig viel Freude an den einzelnen Übungen der Meridiane, die, so der empirische Sofortbeweis, direkt das Nervensystem anregen, Körperareale wärmen oder zum Vibrieren bringen und Stimmungen aufhellen.

Fazit:

Ein Kenner des Nervensystems, der eine lange fällige, theoretische Verbindung zwischen Meridiantradition und moderner Anatomie plausibel darlegt und ein ganzes Bündel voller anregender Übungen mit dazu gibt.

Schöne Fotos, nachvollziehbare Bewegungen und an den meisten Stellen sehr plausible Argumentationen.

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