Solange die Nachtigall singt

 

Solange die Nachtigall singt von Antonia Michaelis

 

Inhalt

Jari Cizek, ein 18-jähriger Tischler, der soeben seine Gesellenprüfung im Tischlerbetrieb seines Vaters absolviert hat, begibt sich nahe der polnisch-deutschen Grenze auf Wanderschaft, um ein paar Wochen Freiheit und Natur zu genießen, ehe ihn das eintönige Alltagsleben einholen wird.

In einem kleinen Dorf am Fuße des Zittauer Gebirges beginnt er seine Wanderschaft, nicht jedoch ohne zuvor über eine kleine Galerie zu stolpern, die Gemälde einheimischer Künstler an zahlungskräftige Touristen verkauft.

Im Schaufenster bleibt sein Blick auf einem Gemälde des Waldes hängen, dessen Schönheit ihn derart überwältigt, dass er die Galerie betritt und auch sogleich von der mütterlichen Galeristin in Beschlag genommen wird, die ihm auch die Künstlerin vorstellt, deren Pinsel das einnehmend schöne Bild entstammt: Jascha.

Der junge Tischler erfährt rasch, dass hinter dem geheimnisvollen Mädchen mehr steckt als der erste Anschein glauben lässt und folgt ihr in ihr Haus im Wald.

Bald wird Jari bewusst, dass die Schönheit des Gemäldes tatsächlich im Wald existiert und auch Jascha entpuppt sich vor Jaris Augen inmitten dieser wunderbaren Welt als engelsgleiches Wesen, das seine wahre Schönheit offenbar vor der Welt  draußen verborgen hält. Nur hier im Wald kann sie sie selbst sein und sie zeigt Jari ihr geheimnisvolles Reich.

Jaris liebestrunkene Sinne verlieren sich schon bald in der Welt des Waldes, dessen Schönheit mehr umfasst, als kunstvolle Stillleben wiedergeben können. Auch seine Liebe zu Jascha wächst mit jeder Stunde. Zu spät wird ihm bewusst, dass die bezaubernde junge Frau in ihrem Haus im Wald mehr als ein Geheimnis hat.

Weinende Stimmen in der Nacht, Wölfe, Bären und Fliegenpilze rauben Jari zunehmend den Verstand, bis auch er sich in einer Welt verliert, wo richtig und falsch, gut und böse nicht mehr unterscheidbar sind. Er, der Beschützer des Waldes und seiner Geliebten, erkennt zu spät, was die dunklen Mächte des Waldes mit ihm anrichten und sieht keine Möglichkeit mehr, in seine alte Welt zurückzukehren.

Dunkle Abgründe der Seele

Mit „Solange die Nachtigall sind“ ist der Autorin ein weiterer Roman gelungen, dessen bildhafte Sprache den im Buch beschriebenen, wunderschönen Gemälden in nichts nachsteht. Antonia Michaelis ist dabei in der Lage, sowohl die schönen Seiten des Waldes, als auch die dunkelsten und teuflischsten Auswüchse der Handlung durch ihre einmalige Erzählweise auf fesselnde – und auch erschreckende Art – darzustellen.

Die Geschichte von Jari und Jascha erinnert im ersten Moment an ein Märchen, doch der Roman wird immer wieder von Erzählsträngen unterbrochen, welche die Vorgeschichte der Handlung liefern. Tatsächlich ist die schöne Jascha in ein dunkles Geheimnis verstrickt, das rein gar nichts mit der überirdisch anmutenden Magie des Waldes zu tun hat.

Gerade hier jedoch hat es die Autorin verfehlt, einen glaubhaften Bogen zu spannen, der das Leben Jaris mit seiner Geliebten Jascha verbindet. Was sieht Jari in Jascha außer ihrer unglaublichen Schönheit? Weshalb fällt er den Intrigen im Wald so rasch zum Opfer, wo doch der Leser trotz zahlloser überraschender Wendungen zu jedem Zeitpunkt den Unterschied zwischen richtig und falsch erkennt.

Jaris Handlungen erinnern mit fortschreitendem Handlungsverlauf mehr und mehr an die Denkweise von Sektenmitgliedern, die einer Gehirnwäsche unterzogen werden.  Doch jeden aufkeimenden Zweifel erstickt Jari selbst im Keim, indem er sich in der Welt berauschender Waldpilze verliert. Es scheint jedoch nicht glaubhaft, alle unstimmigen Teile der Handlung durch diesen „Drogenkonsum“ zu erklären.

Fazit

Im großen Gegensatz zu ihrem umjubelten Vorgängerwerk „Der Märchenerzähler“ schafft es Antonia Michaelis diesmal nicht, dem Leser Sympathien für ihre Charaktere zu entlocken. Zu rätselhaft bleiben die Hintergründe, welche die schöne Jascha antreiben, zu unglaubwürdig ist der dunkle Wandel Jaris, der einer intakten Familie und einem aufrichtigen Freundeskreis entstammt.

Im Gegenteil, die Charaktere entwickeln sich auf unmoralische und abstoßende Weise und scheinen sich gegen Ende der Handlung ihrer Taten sogar bewusst zu sein, diese jedoch nicht zu bereuen.

Zu allem Überfluss wird der Spannungshöhepunkt durch eine unvorhersehbare Wende eingeleitet, die auf rein physikalische Weise unrealistisch erscheint. Vermutlich soll auch hier die bewusstseinsverändernde Wirkung der Pilze handlungswirksam eingreifen.

Das neueste Werk der Erfolgsautorin lässt somit einige Wünsche offen, vermag aber dennoch, dem Leser durch die unvergleichlich malerische Sprache einige Stunden Lesevergnügen der besonderen Art zu bereiten.

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