Am Anfang war das Korn

Hansjörg Küster: Am Anfang war das Korn: Eine andere Geschichte der Menschheit

Wir sind Brot

Nur das Salz stammt nicht von einem Lebewesen, ist einer dieser wichtigen und fein polierten Sätze, die das neueste Buch von Hansjörg Küster ausmachen. Wobei im Einzelfall noch zu debattieren wäre, ob Gesteine und Mutterplanet Erde selbst, die mit Hilfe des Druckes das Salz gebären, selbst nicht richtig lebendig sind. Sei es drum, die Voraussetzung für ein richtig gutes Buch sind mit dieser Ansicht jedenfalls geschaffen. Denn Küster streut diesen Salzsatz in die Zutatenliste eines modernen Kuchenbäckers ein und all die vielen Pflanzenstoffe, die neben den tierischen Produkten in unserem modernen Essen stecken, sind nun mal Lebewesen. Ach wirklich, werden Sie spöttisch sagen. Aber aus naturwissenschaftlicher Sicht ist dieses gleichsam einfühlsame und fundierte Darstellen vom Wissen der lebendigen Natur alles andere als üblich.

So und so ähnlich hat Küster bereits auch mit der Geschichte des Waldes, der Flüsse, der Landschaft im Allgemeinen für viele Pluspunkte gesorgt und ist einer der ersten Geologen, die es zu fragen gilt, wenn moderne Pflanzenökologie auf biologische Voraussetzungen trifft. Sein historisches Faible ist dabei ausgesprochen hilfreich, sich den tatsächlichen Ursprüngen menschlicher Kulturwerdung bewusst zu werden. In diesem Buch formuliert er eine ganz bestimmte Vorstellung und konkretisiert sie anhand ihrer Geschichte und zahlreicher Beispiele: Die Kulturpflanzen, namentlich das Getreide und deren Korn, sind der Anfang menschlicher Kulturwerdung und bis heute das entscheidende Nahrungsmittel.

Im Grunde kann man ihm da überhaupt nicht widersprechen; umso schöner, wie konsequent er auch in diesem Buch sämtliche vermeintlich geistigen Einflüsse wie Religionen oder Staatenbildungen als sekundäre quasi folgerichtige Ereignisse einer Kulturentwicklung beschreibt, deren Basis die Sesshaftwerdung und die konsequente Zucht von Ackerpflanzen ist.

Inhaltlich ist das Buch rund und vollständig, dazu sauber und systematisch strukturiert. Begonnen  wird mit einem Überblick der bisherigen Vergleichswerke, bevor die biologischen Grundlagen der Pflanzenökologie der dann folgenden Geschichte der Kulturpflanzen vorangestellt werden. Dabei geht Küster modern vor, dass heißt Afrika, der nahe Osten, Ägypten und andere Exoten beginnen die Vorstellungen, bevor das geologisch so besondere Europa (samt seiner leider sehr besonderen Menschen) in der uns klassischen linearen Sichtweise untersucht wird.

Wer dieses Buch liest, lernt nicht nur die historischen Zusammenhänge, die biologischen Grundlagen von Selektion und Auslese, erhält viele treffliche Fotos und Zeichnungen, sondern wird auch ganz allgemein zwischen Natur und Kultur unterscheiden können, zwischen Wildwuchs und domestiziertem Wuchs, zwischen Ursprung und Technik. Hoch anzurechnen ist Küster seine immer wieder gern gelesene Konsequenz; nämlich einerseits den Dissens zwischen Natur und Kultur deutlich und überall anzuzeigen, sich gleichzeitig aber auch dezent zurückzuhalten. Dass heißt nicht, dass er den Massenproduktionen nicht vielleicht auch kritisch gegenüberstehen mag, aber er setzt sie immer in Bezug zu einer historischen Linie, die inhärent dazu führen musste.

Fazit:

Küsters Bücher sind lebendige Wissenschaft, in diesem Fall ein riesiges, interdisziplinäres Feld von Geologie, Biologie, Geschichte, Ökologie, Ökonomie und vielen furchtbaren Fremdwörtern mehr, die hier gar nicht hingehören müssen, denn Küster selbst hat trotz aller wissenschaftlicher Nüchternheit so ein herrlich uriges, wildes Wesen, das uns eben die Pflanzen als Ur-Wesen näher bringt. Ein Sachbuch mit Seele!

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