Balzac und die kleine chinesische Schneiderin

Balzac und die kleine chinesische Schneiderin

Inhalt
Im Jahr 1971 zählt in China körperliche Arbeit mehr als geistige Arbeit. Und so werden der junge Ma und der junge Luo im Zuge der sogenannten Kulturrevolution in ein entlegenes Bauerndorf geschickt, um so den angeblich schädlichen Einfluss ihrer intellektuellen Familie auszugleichen. Die meisten Bauern im Dorf haben für Ma und Luo anfangs nur Verachtung übrig – denn die armen Bauern haben sich mit der Ideologie vom „großen Führer“ Mao Zedong zwar nicht auseinandergesetzt, doch sie glauben bedingungslos an die maoistische Lehre und halten deshalb alles „Vergeistigte“ für schändlich. Bücher gelten im China der Kulturrevolution als Feinde der Revolution – nur die Werke Maos werden geduldet.

Ma und Luo haben es anfangs sehr schwer in der ungewohnten Umgebung, doch eines Tages machen sie Bekanntschaft mit der Tochter des Dorfschneiders. Diese Begegnung wird Ma und Luos Leben nachhaltig verändern, denn Luo findet schnell einen Schlüssel zum Herzen der begehrten Dorfschönheit. Die ungebildete Schneiderstochter kann nicht lesen und schreiben, doch sie sehnt sich nach Literatur und Geschichten – sie ist eine der wenigen im Dorf, die den Lehren Maos kritisch gegenüber steht, auch wenn sie viele kommunistische Vorstellungen gar nicht versteht. Luo gelingt es, ihr Herz zu erobern, indem er ihr immer wieder gemeinsam mit Ma aus einem Roman von Balzac vorliest. So erleben Ma und Luo schließlich doch noch eine wunderbare Zeit in den Bergen, auch wenn sie Tag für Tag hart arbeiten müssen, und in ständiger Angst leben – denn wenn ihre Bücher entdeckt werden würden, hätte dies für sie verheerende Folgen.

Ein anspruchsvoller Film, der durch traumhafte Landschaftsaufnahmen und eine wunderschöne und zugleich traurige Geschichte bezaubert
„Balzac und die kleine chinesische Schneiderin“ erzählt die Geschichte einer Liebe in schwierigen Zeiten, einer Liebe, die immer auch von Angst überschattet wird, und für die es sich trotzdem gerade aufgrund der widrigen Umstände zu kämpfen lohnt. Auch wenn in „Balzac und die kleine chinesische Schneiderin“ die Geschichte von Einzelpersonen erzählt wird, kann der Film durchaus als kritische Auseinandersetzung mit der Kulturrevolution als solcher angesehen werden. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Dai Sijie, die später auch die Regie bei der Verfilmung Ihres Werkes übernahm.

Der Film ist zeitlich in der Spätphase der chinesischen Kulturrevolution angesiedelt – jener Phase, in der die Fortsetzung der Kulturrevolution trotz eines drohenden Bürgerkrieges weiterhin von Mao verkündet wurde. Die furchtbaren Auswirkungen der Kulturrevolution sind teilweise bis heute sichtbar – so haben sich zahlreiche Angehörige des Bildungsbürgertums bis heute nicht von den Folgen der Kulturrevolution erholt, teilweise wurden Personen, die im Namen der Kulturrevolution Morde und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begingen, bis heute nicht für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen.

„Balzac und die kleine chinesische Schneiderin“ setzt sich jedoch nicht mit den Verbrechen zu Zeiten der Kulturrevolution auseinander, sondern der Film zeigt vor allem, dass die Kulturrevolution vereinzelt auch positive Auswirkungen hatte – natürlich versucht der Film dabei nicht, die Kulturrevolution als solche zu rechtfertigen. Vielmehr nutzt Sijie die Kulturrevolution als Grundgerüst für den Handlungsverlauf, um in dieses Gerüst eine Geschichte einer tragischen und dennoch wunderschönen Liebe einzubetten – nicht ohne dabei auch immer wieder das totalitäre kommunistische chinesische System zu kritisieren.

Fazit
„Balzac und die kleine chinesische Schneiderin“ wurde als offizieller Beitrag der Filmfestspiele von Cannes 2002 gezeigt. Die Süddeutsche Zeitung beschreibt den Film als „sanft subversiv“, „behutsam poetisch“ und „entwaffnend komisch“ – dieser Kurzbeschreibung ist im Grunde nicht mehr viel hinzufügen. Der Film erzählt eine eigentlich tragische Geschichte auf amüsante Art und Weise und ohne jede falsche Sentimentalität. Sijie legt viel Wert auf die sorgfältige und präzise Zeichnung der einzelnen Charaktere – so gelingt ihr ein herausragender und künstlerisch wertvoller Film, der nicht nur geschichtsinteressierten Zuschauern gefallen wird.

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