Der Kaiser von China von Tilman Rammstedt
Inhalt
Keith Staperpfennig wächst gemeinsam mit vier Geschwistern bei seinem Großvater auf. Der Großvater ist ein liebevoller, aber kauziger Mensch, und die wechselnden Stief-Großmütter von Keith und seinen Geschwistern werden von Jahr zu Jahr jünger – wie der Großvater es schafft, immer neue Frauen für sich zu gewinnen, bleibt Keith ein Rätsel, denn der Familienvorstand ist zwar für sein Alter noch eine durchaus gute Partie, da seine Vermögenswerte sich jedoch in einem sehr überschaubarem Rahmen bewegen, gibt es eigentlich keinen Grund dafür, dass die Frauen Keiths Großvater nach wie vor zu Füßen liegen – auch wenn die meisten Liebschaften des Großvaters etwas merkwürdig sind.
Als der achtzigste Geburtstag des Großvaters ansteht, entschließt sich Keith gemeinsam mit seinen Geschwistern dazu, dem Mann im nunmehr bereits fortgeschrittenen Alter eine Reise zu schenken – dumm nur, dass eigentlich keiner der fünf Enkel Lust hat, den Großvater auf seiner Reise zu begleiten. So wird gelost, und das Los fällt auf Keith. Der Großvater beschließt, nun gemeinsam mit Keith nach China zu reisen, obwohl Keith mit diesem Reiseziel nicht viel anfangen kann.
Keith weigert sich deshalb auch zunächst standhaft, was schließlich darin gipfelt, dass Keith die gesamte Reisekasse (und somit auch den Reisekosten-Anteil der Geschwister) in einem Casino verspielt und sich nun etwas einfallen lassen muss. Zu allem Überfluss stirbt der Großvater, bevor es überhaupt so richtig mit der Reise losgeht. Jetzt ist guter Rat teuer, denn Keith muss seinen Geschwistern nun irgendwie glaubhaft machen, dass der Großvater nicht etwa mitten in der Provinz im Westerwald gestorben ist (was den Tatsachen entsprechen würde), sondern dass er während seines Aufenthalts in China das Zeitliche gesegnet hat – ein scheinbar aussichtsloses Himmelfahrtskommando…
Ein tiefgründiger und gleichzeitig ungemein humorvoller Roman über die Macht des Schicksals – und auch eine sehr gelungene moderne Lügengeschichte
Tilman Rammstedts Roman erinnert in gewisser Weise an die altehrwürdigen Geschichten des „Lügenbarons“ Münchhausen – ein junger Mann trifft aus einer Laune heraus eine Entscheidung, über dessen Konsequenzen er sich nicht bewusst ist, und muss nun mit ansehen, wie sein tägliches Leben komplett von dieser einen Entscheidung bestimmt wird.
Der Autor erzählt aus der Sicht des Ich-Erzählers Keith eine fiktive Reisegeschichte, die dem Leser in Form von Briefen nähergebracht wird. Keith windet sich in Erklärungsversuchen, er erschafft eine schwindelerregende Lügenkonstruktion und hofft, sich irgendwie doch noch aus der Affäre ziehen zu können.
Dabei gelingt Rammstedt das Kunststück, dem Leser jederzeit bewusst sein zu lassen, dass Keith eine Lüge auf die andere schichtet, die Reiseerzählung dabei gleichzeitig jedoch so authentisch wirken zu lassen, als wäre der Leser selbst gemeinsam mit Keith und seinem Großvater auf einer Reise durch das moderne China – der Roman überzeugt also nicht nur durch einen außergewöhnlichen Handlungsverlauf und eine fesselnde Erzählweise, sondern auch die sorgfältige Recherche, die dem Roman eine ungeheure Authentizität verleiht, sorgt dafür, dass der Leser von „Der Kaiser von China“ vollends in den Bann gezogen wird und förmlich in einen Leserausch verfällt.
Fazit
„Der Kaiser von China“ wurde mit dem Haupt- und dem Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet und von der Kritik und den Lesern gleichermaßen begeistert aufgenommen. Schon bei der Lektüre der ersten paar Seiten des Romans zeigt sich, dass diese positive Resonanz absolut gerechtfertigt ist. „Der Kaiser von China“ ist ein leicht zu lesender, ungemein fesselnder Roman, der trotz seiner Kürze durch ungemein viel Tiefgang überzeugt – zweifelsohne bedingungslos zu empfehlen!