Harald Jordan: Die fünf Kiekuter: Das Geheimnis liegt im Rücken
Tibet in der Nähe von Hamburg
Originell muss sie gewesen sein, die in diesem Buch von Harald Jordan gewürdigte Corinne. Die Frau, die als Begründerin der fünf Kiekuter gelten darf. Die Originalität wird nicht nur in den amüsanten biographischen Skizzen deutlich, die Jordan auf sehr angenehme Art und Weise in dieses originäre Fachbuch einstreut. Fünf Übungen für den Rücken, besser und darüber hinaus verstanden für das leibliche (ergo: seelische) Wohl hat Corinne in ihrem bewegten Leben entdeckt. Auf die Frage, wie sie zu nennen seien, bezieht sie sich auf die fünf Tibeter und nennt sie die fünf Kiekuter, weil sie dort geboren wurde, lebte und 1997 auch starb. In Kiekut, einem Vorort von Hamburg.
Noch origineller und authentischer waren die Lebensformen dieser interessanten Frau. So zum Beispiel Seminare zum Thema ganzheitliche Bewegungspraxis anzubieten und in den Pausen laut das Bedürfnis nach einer Zigarette auszudrücken. Ach wie schön muss Kiekut sein – mit dem Duft echter Individualität abseits von der normierten Alternativmedizin der Moderne. Jordan hat Corinne kennengelernt, begleitet, von ihr gelernt und fasst ihre Körperpädagogik, die weit mehr ist als mechanische Physiotherapie mit sehr ganzheitlichen Überlegungen zusammen.
Die fünf einzelnen Übungen werden isoliert beschrieben, leider etwas zu schmal dargestellt (eine kleine Skizze pro Übung) und durch ergänzende Übungen sowie Worte von Corinne, die als Mischung aus weiser Bewegungspädagogik und intuitiver Philosophie gelten dürfen, ergänzt. Aus professioneller Sicht sind die Übungen eine interessante Mischung aus Tai Chi und Rolfing. Vor allen Dingen die Übungen vom Schweizer Rolfer Hans Flury finden sich hier in Ansätzen wieder. Man kann aber davon ausgehen, dass Corinne überhaupt keine Ahnung von diesen Methodikern hatte und die Übungen selbstständig und intuitiv erfunden (im wahrsten Sinne des Wortes) hat; das zeigt nur, wie universal und berechtigt diese Bewegungen sind.
Den weitaus größeren Teil des Buches verbringt Jordan dann damit, die fünf zentralen Bereiche, um welche es in diesem Buch geht (Knie, Hüfte, Wirbelsäule, Rücken, Schulter) kulturhistorisch und energetisch zu durchleuchten, sowie den Körper und seine Gestalt in einem sehr metaphilosophischen Sinne herauszuschälen. Dazu beruft er sich auf Geomantie, Psychohygiene und ganz allgemein die energetische Form des Körpers, die vom Herz, manchmal auch vom Kopf ausgeht, aber nicht, und das ist der Knackpunkt, von der Anatomie oder Biologie.
Gerade bei den Übungen, aber auch vereinzelt an anderen Stellen, macht sich dieser fehlende Hintergrund deutlich bemerkbar. Die Aufrichtung der Wirbelsäule zur Doppel-S-Form wird zwar gewürdigt, aber inkonsequent integriert (wenn es zum Beispiel, um die völlig deplatziert Vorstellung geht, den Rücken im Liegen komplett auf den Boden zu bringen). Auch viele andere Bereiche, die der Fachmann als Fußstreckeraktivierung, Patelladruck oder Lastarmproblematik kennt, werden – vorsichtig formuliert – mit zauberhafter Aura umgeben, aber anatomisch nicht verstanden.
Fazit:
Dennoch ist dieses Buch zu empfehlen: Das liegt zum Einen an den wirklich guten Übungen selbst und zum Anderen im Umkehrschluss des oben Kritisierten: Jordan ist kein Anatom, kein Bewegungspraktiker und auch kein Körpertherapeut; aber er ist ein Visionär, ein Seher, der verstanden hat, dass Zahlenharmonie, Musiklehre oder Aura sehen mit Haltung, Bewegung und Struktur Hand in Hand gehen. Corinne würde sich darüber freuen.