Die Henkerin

Sabine Martin: Die Henkerin

Hut, äh wir meinen: Kopf ab

Das war aber auch alles grausam im finsteren Mittelalter: es brennt die Haut, es surrt das Beil, es fährt die Klinge, und ab ist der Kopf, gemeuchelt der Verbrecher, Blutfontänen und eklige Eingeweide als letzte Grüße. Von derlei herrschaftlicher Tyrannei hat sicher jeder schon mal gehört und es wäre eine interessante Untersuchung (ist es in soziologischen Kreisen bestimmt auch schon), inwieweit moderne Massenmedien, Shitstorms oder gruppenspezifische Traumatisierungen nicht für andere Völker ähnlich (oder gar erschreckender) grausam auszusehen vermögen. Für aufgeklärte Mitteleuropäer aber ist der rollende Kopf des Mittelalters ein Sinnbild der irrationalen, impulsiven Zeiten und darf höchstens auf literarischer Ebene goutiert werden. Dann aber bitte so fein, wie in diesem tollen historischen Roman.

Die Henkerin hat es genau so wie die Päpstin und andere Frauen in Männerrollen nicht wirklich geben können. Zu patriarchalisch war (und ist!) die Gesellschaft, zu sehr sprießt hier neben dem Wunsch eine spannende Geschichte zu kreieren auch die eigene Rebellion gegen die gesellschaftlichen Umstände. Das macht es alles in allem spannender, faszinierender, abenteuerlicher – wenn also das rothaarige Mädchen Meilsande den Mord ihrer Eltern miterleben muss und vor dem gleichen Schicksal vom Henker Raimund gerettet und aufgezogen wird, dann haben wir nicht nur ein ganz großartiges Stilbild eines unehrenhaften, dennoch unverzichtbaren Berufsstandes des Mittelalters, sondern auch den Rahmen für diesen spannenden Pageturner. Wobei Pagetunrer beim Hörbuch ja so nicht zutreffend ist. Nennen wir es einen Nichtausmacher.

Nicht nur auf der gediegenen, praktischen und schön dekorierten CD-Papp-Box der sechs Silberlinge prangt das Motto dieser Story: Rache. Denn Rache schwört nicht nur Melisande an den Mördern (die nun in der ganzen Geschichte gejagt und aufgespürt werden wollen), sondern vollzog auch der Mörder selbst – Ottmar de Bruce (welch herrlicher adliger Name) – an Melisande Vater, weil dieser Ottmars Sohn getötet hatte. Jaja, wie man sich das vorstellt: ein Hauen, Stechen, Jagen und Morden. Willkommen in der radikalen Welt des 14. Jahrhunderts im Esslinger Raum.

Nun ist dies aber nicht einfach nur ein historischer Roman, sondern ein frappierender und schneller mit hohem Tempo, mit einer ausgezeichneten, wiewohl bisweilen fast übertrieben harten Sprecherin (Nicole Engeln), mit klarer Übersicht, facettenreichen Protagonisten, gut recherchierten Fakten und detailverliebten Umschreibungen. Das passt und hat Luft für innere Faszination und fesselt denen Lesestoff.

Einzig die schöne Karte von Esslingens Umgebung, wo sich die Szenerie abspielt, und das ausführliche Glossar (im Innenteil ist es nur bruchstückhaft ins Hörbuch übernommen) hätte man genauso gut vom Buch auf den auditiven Träger kopieren können – okay, wer sonst schon alles hat…

Fazit:

Ein in erster Linie spannendes und sehr kurzweiliges Hörvergnügen mit einem ausgeklügelten Plot, der eine ganz andere Sichtweise auf die Tätigkeit jenes Handlangers herrschaftlicher Macht wirft. Dazu eine packende Geschichte von einem Mädchen mit roten Haaren und einem ausgefallenen Namen: Melisande. Jawohl, dieses Paket stimmt!

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