Eva Stachniak: Die Zarin der Nacht
Sprunghafter Nachfolger
Den Titel Zarin der Nacht, da muss man nach der Lektüre dieses Buches gar nicht lange drum rum reden, kann man sich auf die Fahnen schreiben. Die Fahnen der amourösen Begebenheiten, die des Nächstens die Menschen umtreiben. Überspitzt formuliert hätte man den Titel auch Die große Nymphomanin nennen können. Nicht in einem moralisch verwerflichen, sondern in einem pragmatisch historischen Sinne. Katharina die Große, die russische Zarin, die als einzige politische Amtsinhabern überhaupt von der Geschichtsschreibung den Beinamen die Große erhalten hat, lebte nun einmal in einer Zeit in der Intrigen, Beziehungen und jedwede Form realer Sozialpolitik im eigenen Schlaf- oder Arbeitszimmer ausgefochten und ausgelebt werden mussten. Bevor sich das von vorneherein aber falsch anhört: dies ist kein Roman für Voyeure, sondern eine historisch plausible, prosaisch nicht immer leicht zu verdauende Erzählung einer spannenden Persönlichkeit.
Nicht leicht zu verdauen, sind vor allen Dingen die ständigen Positionen, Zeiten und Blickwinkel, die den Plot der Story immer wieder zerfransen und schwierig zu lesen machen. Man merkt ganz deutlich, wie die Autorin – die in Polen geborene und mittlerweile in Kanada lebende Eva Stachniak – in ihrer eigenen Imagination aus historischen Fäden und persönlichen Neigungen ein Potpourri entwickelt hat, dem sie scheinbar bedingungslos folgen wollte – bisweilen zu Lasten der Verständlichkeit.
Der Text selber ist ein Turnpager. Dieses Motto hat nämlich bereits einmal funktioniert, im Vorgänger der Winterpalast, der Elisabeths Vorgängerin am russischen Zarenhof – Elisabeth Petrowa – zum Mittelpunkt hatte und auf den in diesem Buch immer wieder Bezug genommen wird. Für Leser jenes erfolgreichen Bestsellers sicherlich das ein oder andere Mal zu viel, Neueinsteiger sind glücklicher mit all den Querverwiesen auf das, was die anderen Leser des Vorgängers schon kennen und nicht unbedingt wiederholt haben wollen – wenn auch aus einer anderen Perspektive.
Zurück zum Turnpager. Der zeichnet sich durch schnelle, schnörkellose und vor allem verbindungslose Syntax aus. Ohne Komma. Dafür mit Punkt. Elisabeth. Die Große. Die Größere. Ein Großteil der Sätze changiert in diesem Bereich. Keine verschachtelten Romanphantasien, sondern kurze, knackige, häufig durch Steigerungen und Vergleiche geprägte Aufzählungen. Leicht lesbar und flüssig und – wären da nicht die zahleichen Sprünge in der Story – äußerst unterhaltsam.
Das Buch beginnt mit dem Ableben von Sophie von Anhalt-Zerbst (ursprünglicher Name und Herkunft der späteren großen Elisabeth) am 6. November 1796 und blickt von dort zurück. Subjektiv und eben häufig amourös. Die Französische Revolution, die Verbindung der Zarin zu den französischen Aufklärern (Voltaire, Diderot bspw.), die massiven innen- und außenpolitischen Reformen (bis heute legte sie die expansive geographische Größe dieses Riesenreiches fest) kommen bisweilen etwas zu kurz. Und dennoch: gerade durch die offenen Schilderungen von Leiblichkeit (Sexualität, Krankheit, Tod), die sich den Menschen vor 200 Jahren stellten (auch den ganz Großen) eine fassbare und wirklich verwandelnde Realität der Geschichte.
Fazit:
Kein Storyfluss, kein Leckerbissen für Poeten, keine perfekte Geschichte über und von der Geschichte, dafür ein variables, sehr subjektives und auf jeden Fall sehr gut lesbares Romanvergnügen, das umso schöner wird, je weniger man vorher von Stachniak gelesen hat. Ansonsten könnte man sich in Vergleichen zu dem Vorgänger, dem packenden, klaren Wurf, grämen.