Ein indianischer Sommer

Ein indianischer Sommer von Milo Manara und Hugo Pratt

Inhalt
Die Kollaboration zweier so großer Künstler der Graphic Novel Welt stellt sicherlich an und für sich schon einen Superlativ dar. Unnötig zu erwähnen, dass Hugo Pratt mit seinem Corto Maltese Comicgeschichte geschrieben hat und Milo Manara wohl einer der besten Zeichner seines Genres ist. Hugo Pratt, der sich zeitlebens immer minderwertig gegenüber den „normalen“ Schriftstellern fühlte, und der „gezeichneten Literatur“ bald den Titel „Graphic Novels“ verlieh, feilte an den Dialogen zu vorliegender Episode „wie ein Besessener“, wie es im Vorwort zu vorliegender Ausgabe heißt. Für Pratt war der Aufbau der Story und die Handlung ausschlaggebend, er baute mit Vorliebe „unnütze Dialoge“ ein, ganz so wie in der hohen Literatur, um dem Leser auch das tatsächliche Gefühl zu geben, leibhaftige Menschen vor sich zu haben und nicht die sprichwörtlichen „Pappkameraden“.

Zumeist würden die Dialoge im Comic vernachlässigt, wird Manara im Vorwort zitiert, und sie seien essenziell und rein funktionell in Bezug auf die Handlungen der Figuren. Bei Pratt sei das eben anders und erstmals konnte sich der Schriftsteller laut Vorwort voll auf die Handlung konzentrieren, denn Manara übernahm für ihn die Illustrationen. Pratt soll übrigens durchaus verblüfft gewesen sein, über Manaras allzu deutliche Bildsprache, der dann, wenn andere auf einen Busch überblenden, die Pinsel voll draufhält. Die vorliegende Geschichte beginnt übrigens mit einer Vergewaltigungsszene und diese kommt ganz ohne Worte aus. Umso klarer wirkt dann das Auftreten des Retters und Helden als Erlösung von der grausamen Erfahrung, die eine junge weiße Frau am Strand von Nirgendwo machen muss.

Freundschaft über alles?
Die Massenszenen der Schlachten, die Belagerung des Hauses der Lewis`, einer weißen Siedlerfamilie, sind so gekonnt in Szene gesetzt, dass man sich mitten in einen authentischen Western versetzt fühlt, auch wenn die Episode eigentlich im 17. Jahrhundert spielt. Pratt verzichtet dabei nicht auf bissige oder sarkastische Kommentare, etwa wenn der Leutnant einer Truppe auf die Frage nach dem Grund des Angriffs der Indianer lapidar antwortet: „Sind eben Indianer“.

Die Autoren sind natürlich klar auf der Seite der Indianer, die mit viel Humor und Nonchalance den unlösbar scheinenden Konflikt lösen: die Vergewaltiger, zwei junge Indianer, wurden bereits für ihre Tat bestraft, doch die Indianer müssen nun auch den Bestrafer bestrafen und so kommt es zum Aufgebot einer ganzen Armee auf beiden Seiten, bis die beiden alten „Schulkameraden“, der Indianer und der lockige Weiße, den Konflikt eben auf ihre Art lösen. In alter Freundschaft sozusagen. Dennoch sind die anderen ihren alten Handlungsmustern unterworfen und können eben nicht anders handeln als sie müssen. Der eigentliche Grund oder Anlass ist dabei völlig nebensächlich. Jeder tut was er kann, um den anderen von der Bildfläche verschwinden zu lassen.

Kritik an Hexenverfolgungen und anderen Genoziden
Aber das ist noch lange nicht alles. Hugo Pratt räumt in einer Art Rückschau auch mit den Hexenverfolgungen von Salem auf und geißelt die unselige Rolle der katholischen Kirche in den neuen Kolonien, die sie – Gott sei`s gedankt – so lange nicht mehr haben sollte. Die Unterdrückung der Frau mit dem Argument des Hexenwesens wird schonungslos gebrandmarkt und in ihren düstersten Auswirkungen gezeigt. Vergewaltigung durch Priester über Generationen hinweg, das heißt in vorliegendem Fall zuerst die Mutter und dann deren uneheliche Tochter, waren an der Tagesordnung und als der alte „Black“ endlich starb, übernahm sein Sohn für ihn die Rolle des ausbeuterischen und geilen Pfaffen.

Manaras Bildsprache ist dabei alles andere als zimperlich, er zeigt so manches entblößte weibliche Gesäß und auch das, was sich noch weiter darunter verbirgt, in Großaufnahme, hält die Kamera, den Pinselstrich, voll drauf und dabei steht ihm auch die deutliche Sprache Pratts in nichts nach. Die „Lilith“, die erste rebellische Frau Adams, wird zu einem Fanal einer Befreiung, die man sich vielleicht nicht unbedingt so gewaltsam vorgestellt hätte. Aber der Bluff funktioniert und die Verblüffung ist dadurch nur umso größer. „Ausgerechnet du sprichst von Sünden, deine Seele ist schwärzer als die Nacht!“ Wird der Schuldige seine gerechte Strafe erhalten? Sind die Unschuldigen wirklich ohne Schuld? Und wer zum Teufel ist dieser Reverend Black, der aussieht wie ein verrückt gewordener Klaus Kinski in schwarzer Priesterrobe? Die Familie Lewis könnte über diesen Reverend jedenfalls einiges erzählen, dessen Grabstein in Salem nur das eine Wort schmückt: BLACK!

Fazit
„Komm in den Zuber“, befiehlt Reverend Black seiner Nichte und so wird ein Showdown eingeleitet, der selbst den härtesten Leser mit offenem Mund – verblüfft eben – zurücklassen wird. Ob es sich dabei allerdings um Erstaunen, Überraschung oder rohe Entzückung handelt wird hier nicht verraten, zumal ja jeder Leser auch anders reagieren wird. Hugo Pratt und Milo Manara lassen in ihrer Koproduktion wirklich kein Tabu aus, die Palette reicht von Inzest über Vergewaltigung, und Promiskuität bis hin zur Prostitution und das Obszönste ist dabei der Krieg gegen die rechtmäßigen Eigentümer eines Landes, der Krieg gegen die „Indianer“.

Als nächste Folge erscheint in der Milo Manara Werkausgabe „Der Duft des Unsichtbaren“. Man darf gespannt sein, mit wem er dieses Mal zusammengearbeitet hat, nach Federico Fellini und Hugo Pratt dürfte eine weitere Überraschung auch einige weitere Münder offen stehen lassen. Das Original von „Ein indianischer Sommer“ ist übrigens schon 1983 erschienen, was als Information für all jene, die sich über die Freizügigkeit der Publikation wundern werden, hier am Rande erwähnt sei. Das Vorwort stammt von Sergio Rossi und erklärt die wichtigsten Begriffe und stellt die Autoren sowie Vorbilder der Geschichte in Kurzbiographien vor.

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