Hans Fallada: Jeder stirbt für sich allein

Hans Fallada: Jeder stirbt für sich allein

Er schrieb für sich allein

So wie jeder gute Roman mit dem ersten Satz beim Leser direkt gewinnen oder verlieren kann, wie die Kraft sich in der Geburt des Werkes ausdrücken kann, so vermag auch das Hörbuch mit dem Timbre, dem Akzent und der Artikulation des Sprechers den erfolgreichen oder weniger gelungenen Einstieg geben. Die Sensation des vergangenen Jahres, der wiederentdeckte Wahnsinn, den der große Hans Fallada 1946 als letzten Roman positionierte, gibt es bei Osterworld/Hörbuch Hamburg nun als Hörbuch. Und Ulrich Noethen, der gefragte Sprecher – wie der Begleittext etwas ungelenk formuliert – berlinert in bestem Akzent und derart gehaltvoll schon in den ersten Sekunden; im Treppenhaus eines Miethauses, deren Bewohner im dritten Stock in den Mittelpunkt rücken. Ulrich Noethen weiß einzufangen, zu verwandeln, zu begeistern. Nur wenige Augenblicke genügen. Allein das macht die Kraft dieses Hörbuches aus.

So verwundert es nicht, dass die Kombination aus genialem Schriftgut und tollem Sprecher komplett zu überzeugen weiß. Acht CDs in einem schönen Pappschieber mit feinem Booklet (unter anderem Originalfotografien der Gestapo, die das vermeintlich aufrührerische Ehepaar, das Fallada portraitiert, zeigen) überzeugen auch äußerlich; innerlich begeistert oder vielmehr bewegt und erschreckt eine authentische Geschichte, der Fallada nur andere Namen und darüber hinaus sein ganz eigenes Credo hinzugefügt hat. Seine meisterhafte Fähigkeit ist es, den Missständen des nackten Affen, des triebgestörten Tieres Mensch, des sozialdramatischen Wesens homo sapiens, so bedrückend ehrlich auf die Schliche zu kommen, dass man ganz unweigerlich, egal ob beim Lesen oder Zuhören, den Atem anhalten muss vor so viel ungeschminkter Bitterkeit.

Nun hat es mit dem Schriftstück noch eine weitere Besonderheit, denn der 1947 im Aufbau-Verlag in einer leicht gekürzten Version erschienene Roman geriet zumindest im Ausland in Vergessenheit und wurde bis ins Jahr 2009 noch gar nicht ins Englische übersetzt. Doch gerade der angloamerikanische Raum lechzt ja bekanntlich nach den Widerstandsdramen der Nazizeit, egal aus welcher Feder auch immer. So was kommt, auch heute in Hollywood, beständig gut an. Der Hype, der dann entstand, hätte Fallada wahrscheinlich wahnsinnig gemacht; jedenfalls sind die Begeisterungsstürme orkanartig über diesen nun wiederentdeckten Klassiker hereingebrochen und auch in Deutschland erschein nun eine ungekürzte Version, die ebenso für Furore sorgte.

Widerstandsbeschreibungen sind häufig meist Überlebensberichte oder aus dem Glashaus skizzierte Welten, die sich der Realität entziehen. Aber die Quangels, die in Wirklichkeit Hampels hießen, sind so echt, so unverblümt, wie die Verkäuferin auf der Straße, die dir direkt ins Gesicht sagt, dass du heute krank aussiehst und besser zum Arzt gehst. Wie damals, als wir in der Schule den Lateinlehrer mobben wollten und kleine Notizzettel mit perfiden Angriffen entwarfen, so ähnlich hoffnungslos geht es in Falladas Roman zu, ging es in er deutschbraunen Wirklichkeit zu Beginn es zweiten Weltkrieges vor; just an dem Tag, an dem Frankreich kapitulierte, geht der Roman mit dem Tod des Sohnes des Ehepaares los.

Fazit:

Fallada war ein Wahnsinniger, ein Alkoholiker, ein Drogenabhängiger, ein Vielschreiber, der es tatsächlich fertig brachte, trotz seiner Sozialkritik in Deutschland während des dritten Reiches zu leben. Im Gefängnis war er schon früher, auch während der Nazizeit kurz, doch immer wieder stand er auf. Jeder stirbt für sich allein schrieb er in einer Entzugsanstalt in, Achtung!, einem Monat runter: Cold-Turkey-Kreativität, um dennoch oder gerade deshalb drei Monate später an Herzversagen zu sterben. Ein kreativer Irrer, der dem Rausch aus den bürgerlichen Alltagsschrecken entfloh und der zumindest die göttliche Fähigkeit besaß, diese eigene Schwäche wie kein zweiter in die Wirklichkeit seiner Bücher einfließen zu lassen. Ganz stark und das Hörbuch erfüllt darüber hinaus alle Anforderungen. Antibürgerliche und(!) bürgerliche Pflicht!

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