Oberin Ignatz: „Kö-kö-köstlich!“
Wenn’s einmal läuft, dann läuft es. Eine ziemlich abgeschmackte und plumpe Weisheit, die man von Fußballtrainern immer wieder hören muss. Und jetzt auch von Computerspielrezensenten? JA! Weil es eben so ist und die Daedalic-Schmiede sich von Mal zu Mal aufs Neueste übertrifft. Denn beim neuesten Point-and-Click-Adventure Harveys neue Augen stimmt einfach alles, erst recht die Aufmachung.
Fruit Loops heißen diese äußerst ungesunden und klebrigen Cerealien-Ringe von Kellogs, die bei diesem Spiel auf die Schippe genommen werden. Aber nicht inside the game, sondern outside. Stellt euch einfach vor, ihr kauft ein Computerspiel und habt eine Frühstücksflockenverpackung in der Hand. Auf der ist Harvey samt Augen als Titel abgebildet und alles andere macht gar keinen großen Unterschied, zumindest nicht auf den ersten Blick. Wer näher hinguckt erkennt an den von der Gesundheitsbehörde ausgewiesenen Inhaltstoffen statt Fetten und Zucker Irrsinn und Sarkasmus. Der übliche Kellogs-Gefahrenhinweis, dass bei Beanstandung die Verpackung wieder zurückgeschickt werden kann, wird bei Daedalic zu einem hübschen Bonmot: Und überhaupt, ich will nicht allen Spaß vorher verraten, schaut euch einfach diese unglaublich geniale Idee selbst an. Nur so viel noch als Warnhinweis für Allergiker: Der Inhalt dieser Verpackung kann Spuren von Humor enthalten.
Fans und Freunde von Adventurespielen werden nicht drum herumkommen, sich dieses neue Adventure aus der mittlerweile hoch dekorierten (A New Beginning, Whispered World, Monkey Island Tales) Spieleschmiede zuzulegen. Eines der beliebtesten Adventures jener Produzenten war Edna bricht aus und genau dessen Nachfolger ist dieses Spiel hier. Mit Edna wohlgemerkt, nur dass sie zur Nebendarstellerin und besten Freundin abseits der erst mal sehr brav daher kommenden Lilly degradiert worden ist. Wohl zu, im Klostergarten geht dieser wunderbare Adventurespaß los, der nach den handelsüblichen Kriterien der modernen Adventure funktioniert (Steuerung komplett mit der Maus, benutzbare Gegenstände per Leertastenklick ersichtlich, keine tödlichen Fehler möglich etc.).
Wer die Stimme der Klosteroberin Ignatz samt ihrem K-Sprachfehler (siehe Überschrift) spricht, weiß ich nicht, kann aber mit einwandfreier Sicherheit behaupten, dass ihr euch vor Lachen biegen werdet. Wie überhaupt der Sound (das Spiel kommt eigens mit einem eigenen Soundtrack auf CD daher!) und die Sprachausgabe eines des ganz großen Highlights sind. Das Oberhighlight ist und bleibt der Spaß, den wir schon herzhaft in Edna goutieren durften und der auch hier wieder auf diese makaber-ironisch-detektivische Art aus allen Fugen und Ecken hervor lugt. Was Wirklichkeit und Traum ist, bleibt noch zu entscheiden.
Inhaltlich haben wir es bei Lilly mit einer scheinbar devoten Schülerin zu tun, die gewissenhaft all ihre Aufgaben erledigt respektive nicht erledigt. Ihre Art ist aber irgendwie nur ein äußerer Schein, was zunächst der gute Freeman erfahren muss, der anscheinend den Termiten zum Opfer gefallen ist. Ups. Und wenn dann so etwas Unangenehmes in ihrer Umgebung passiert, gibt es immer noch die fröhlichen Zensurgnome. Die pinseln alles rosa an, mit dem sich Lilli lieber nicht auseinandersetzen möchte. Hört sich bekannt an, oder? Ich meine, so laienpsychologisch sind wir doch alle ein bißchen Lilly.
Fazit
Man kommt aus dem Schwärmen einfach nicht heraus, denn Grafik, Sound, Handhabbarkeit, und diese wahnsinnig witzige Anzahl von irren Späßen (sogar eine Retrocodescheibe für den Zugang zum Spiel a la anno 1992 ist ein Gag! – denn Humor ist, wenn man trotz Codescheibengedrehe trotzdem lacht) machen dieses Spiel zu einem uneingeschränkten Kaufgenuß. Und noch was Positives für alle, die sich von den Hardwareanforderungen abschrecken lassen. Bei mir funzt die Originalversion mit just der Hälfte der vorgebenden Anforderungen. Kann man da noch nein sagen? Nein, äh, und also Ja zu Harvey!