Kulturgeschichte des Altertums

Egon Friedell: Kulturgeschichte des Altertums: Kulturgeschichte Ägyptens und des alten Orients / Kulturgeschichte Griechenlands

Perle im akademischen Heuhaufen

Historische Bücher, also Werke, die Geschichte und Geschichten erzählen wollen, sind ja leider meistens alles andere als erheiternd, wie es eine Geschichte eigentlich sein könnte. Moderne Werke der Universitätsprofessoren sind staubiger als die Geschichten, die in ihnen behandelt werden; formale Strukturen und eine Unsumme an Fremdwörtern und Eitelkeiten machen aus dem, was gewesen ist, etwas, dem sich Schüler und Student auf diesem Weg nur ungerne annähern. Vorreiter waren die Geisteswissenschaftler des 19. Jahrhunderts mit ihrem autokratischen, totalitären und egalitären Herangehensweisen. Es schaudert die Leser und schreckt die Interessierten ab. Nicht so bei wenigen Ausnahmen; das Original schlechthin sind die Werke Egon Friedells, der Geschichtsschreibung im wahrsten Sinne des Wortes zur hohen Kunst der Prosa erhoben hat.

Im Diogenes-Verlag ist eine Neuauflage der Kulturgeschichte des Altertums erschienen (erstmals 1936), die die seinerzeit isoliert veröffentlichten Werke gleichen Namens über das alte Ägypten und den Orient sowie Griechenland vereint. Im Vorwort erzählt der in Wien geborene Friedell, der ja neben seiner wissenschaftshistorischen Tätigkeit noch so viel mehr war (unter anderem Theaterkritiker, Übersetzer, Herausgeber und Schauspieler), dass die Kulturgeschichte des Altertums in keiner Beziehung zu seinem dreibändigen Klassiker, der Kulturgeschichte der Neuzeit, stehe. Mit dieser hat er 1927 ganz nebenbei die historische Welt und ihre verstaubten Methoden ganz wunderbar aus den Angeln gehoben.

Wie großartig ist allein nur dieses Vorwort, indem er die Leser dazu auffordert, zwischen beiden Werken keinen Zusammenhang zu ziehen und er überhaupt keine Notwendigkeit sähe, dass man das eine (historisch ältere) oder das andere (frühere geschriebene) Werk zuerst lesen müsse; man könne auch – Zitat Friedell – beide nebeneinander oder auch keins von beiden lesen. Wie schön! Selbstironie und Verschmähen der eigenen Wichtigkeit; wann hat es das denn vorher oder nachher mal gegeben?

Die über 900 Seiten präsentieren dann die Geschichte Ägyptens und Griechenlands so, wie sie vielleicht die meisten aus Schule und Massenmedien kennen; nur viel tiefer, verdaulicher und vor allen Dingen erbaulicher, als man es sonst wo lesen könne.  So lässt er sich über prähistorische Völker viel wohlwollender aus als die meisten seiner Zeitgenossen und – erschreckend, aber wahr – auch als die meisten modernen Menschen. Da wird dem sogenannten Primitiven ein fantastisches Gedächtnis, ein magisches Organ bescheinigt, das ihnen tiefe Einblicke in das Wesen der Natur erlaubt, und die somit der Zivilisation auf diesem Wege ganz nahe stehen.

Herrlich, wie er die geologischen Zeiträume spezifiziert, die sich alle zehn Jahre zu verdoppeln oder vielfachen scheinen; nämlich dann, wenn er von Mesozoikum und Känozoikum spricht.  Und noch herrlicher, wenn er den Tag der Athener, damit anfangen lässt, dass sie – egal ob verkatert oder nicht; was wohl nahezu andauernd vorkommen musste – recht früh anfangen lässt, um ihn dann auf den Markt zu schicken, wo der Athener an sich deutlich mehr schwadroniert als handelt; er spottet und philosophiert, klatscht und tratscht – mit einem Wort: er menschelt.

Genau jene Menschlichkeit ist das herausragende Merkmal seiner historischen Beschreibung und damals wie heute ein so seltener Lichtfunke im fachdisziplinären Sonnensystem, so dass man sich unbedingt, um besser sehen zu können, daran orientieren sollte.

Fazit:

Ein Klassiker der – Achtung! – anspruchsvollen Unterhaltungsliteratur, der die wenigen inhaltlichen Schwächen, die durch die moderne Forschung aufgedeckt worden sind, durch authentische, lebendige und wirkliche Geschichte mehr als wieder wett macht.  Nichts für Historiker, sondern für Freunde von Geschichten!

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