Das Paradies der Damen

Emile Zola: Das Paradies der Damen

Zeitlose Konsumschau

Was waren das für Zeiten, als es sich ein Schriftsteller leisten konnte, seine Leserschaft mit einem Zyklus von zwanzig, großen Romanen über mehr als zwanzig Jahre hinweg zu füttern! Die Familiensage Rougon-Macquart von Emile Zola, veröffentlicht von 1871 bis 1893, war dieses pompöse Unterfangen, das sich dadurch auszeichnet jeweils eigenständige Werke hervorgebracht zu haben, die aber auch jederzeit in den gesamten Zyklus passen. Ein schlechtes, wiewohl modernes Beispiel, wären Filmzyklen wie etwa die der Star-Wars-Reihe. Aber das ist moderner, schnelllebiger Kitsch im Vergleich zu diesem naturalistischen Meisterwerk, in dem die Rezipienten noch die nötige Zeit und Ruhe gehabt haben, sich intensiv darauf einzulassen.

Nicht nur die Leser, auch der Autor selbst, verdingte sich in erster Linie an seiner Fähigkeit der Recherche und der präzisen Formulierung. Der elfte Band des großen Zyklus ist das meisterhafte Paradies der Damen, das nun beim DTV eine erneute und berechtigte Auflage bekommt. Und jenes Paradies, mit dem ein großer Pariser Konsumtempel gemeint ist, mit all seinen Mechanismen und Protagonisten, wurde, bevor er die Feder spitzte, von Zola wie von einem Investigativjournalisten untersucht. Das heißt: Interviews, Besichtigungen, Recherchearbeit gingen den über 500 Seiten Schreibkunst voraus.

Herausgekommen ist dann das, was man von Zola erwarten kann. Tiefgründige, exemplarische, gewissenhafte und bisweilen ausufernde Schilderungen, die sich sprachlich etwas hinter großen Brüdern wie Flaubert verstecken müssen, dafür aber mit Wissen und, so kann man es im Rahmen der naturalistischen Strömung des 19. Jahrhunderts ruhig nennen, Wahrheit punkten.

Der Roman beginnt in jenem Augenblick, als die Provinzkinder der Familie Baudu, die ihre Eltern verloren haben, das erste Mal nach Paris zu ihrem Onkel kommen. Die älteste Schwester Denise war bereits in ihrem Heimatstädtchen Verkäuferin und wird diese Tätigkeit nun auch in der großen Weltmetropole ausführen. Aber was für ein Vergleich, was für große Augen machen die jungen Wesen, als sie gleich zu Beginn vor dem stehen, was den Monolith dieses Romans ausmacht. Dem fiktiven, aber an realen Vorbildern abgeschauten Au bonheur des dames – dem Kaufhof des 19. Jahrhunderts. Mit all seiner Pracht, seiner einladenden und monströsen Architektur, seinem Glitzern, seinen Lockartikeln, seinen Schaufenstern, seinen Auslagen, seinem Pfuhl der Befriedigung der angeblich speziell den Frauen auferlegten Begierden.

Jener Aspekt wird mit Recht bis heute kritisiert, denn Zola, ganz der Denker der alten Schule, auch wenn er für seine Zeit viel moderater als der Rest war, offenbart an so manchen Stellen populistischen Chauvinismus; auf der anderen Seite aber ist jene Darstellung der naiven und einfachen Denise gegenüber dem skrupellosen, geldgeilen und rechthaberischen Kaufhausbesitzers – Octave Mouret, den die Leser aus dem vorherigen Band, Ein feines Haus, noch kennen – das Grundprinzip des ausbeuterischen Kapitalismus. Hier der Erwerbszweck, da die sinnliche Verführung. Jene Verführung eben, die Zola so meisterlich herausgearbeitet und als Prämisse der Veränderung im 19. Jahrhundert herausdestilliert. Nicht weniger einleuchtend als es Historiker auch hundert Jahre später noch tun werden.

In der vollständigen, neu aufgelegten Ausgabe gefällt vor allem auch das Nachwort von Gertrud Lehnert, die dazu wunderbare und soziologisch wie historisch ansprechende Literaturhinweise gibt. So etwas würde man sich öfter mal wünschen.

Fazit:

Das Einzige was an dem tollen Buch stört, ist – wie so oft – der etwas banale Klappentext: Denn was in aller Welt ist daran verblüffend, dass sich in dem Roman die Aktualität der hedonistischen Moderne wiederspiegelt. Es ist nur folgerichtig und großartig (und letztlich auch traurig), dass man so etwas schon vor über einhundert Jahren formulieren konnte.

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