Der Wanderfalke

J.A. Baker: Der Wanderfalke

Wirklich lebendig

Das Auge isst mit. Jene ganzheitlich-sinnliche Erfahrung gilt gemeinhin für andere Bereiche als das Verköstigen von Literatur. Wenn aber der Einband und das Artwork dermaßen herausstechen, wie bei den Naturkunden des Matthes & Seitz-Verlages aus Berlin, dann ist das zuallererst eine Erwähnung wert. Denn der Wanderfalke, der in dieser Mixtur aus wissenschaftlicher Beschreibung und Roman im Mittelpunkt steht, wird auf dem Softcover anmutig präsentiert. Das grau schimmernde Gefieder lädt ein zum Streicheln und Betasten. Auch die feine Zeichnung des Vogels, der mit lateinischem Namen Falco peregrinus geschimpft wird, auf Seite Eins und auch die Kapitelüberschriften in einem romantischen Schreibstil machen zunächst einmal das Auge und die Sinne glücklich.

Noch kein Wort über den Inhalt und doch fällt bis hierhin auf: da sitzen Menschen in diesem Verlag, die sich nicht nur Gedanken, sondern mit bewusster und vollständiger Aufmerksamkeit ihren Projekten widmen. Der Zuspruch der bisherigen Rezipienten der Naturkunden spricht da im Übrigen Bände. Nun also der Wanderfalke, der in diesem Buch in Form einer obsessiven Beobachtung und im Rahmen einer historischen Rückschau verstanden werden kann. Historische Rückschau deshalb, weil der Aufschrei seinerzeit, im Jahr 1962, in England riesengroß war, als man feststellte, dass die damals wie heute weit verbreiteteste Vogelart der Welt (die also bis auf die Pole überall vorkommen kann) massive Populationsrückgänge zu verzeichnen hatte.

Genau da setzt jener nun wieder neu aufgelegte Roman, der eigentlich kein Roman, sondern eher eine Tierbiographie ist, ein; ohne aber zu bemitleiden oder zu lamentieren, nach dem Motto, der Wanderfalke stirbt aus, lasst ihn uns literarisch ehren und damit retten. Keine Spur davon, denn der Autor J.A. Baker beginnt seinen Bericht, wie er ihn auch konsequent das ganze Buch über beibehalt, aus der Perspektive des stillen, aufmerksamen und sinnesvollen Jägers. Kein Jäger des Gefieders und des Fleisches wohlgemerkt, sondern ein Jäger der natürlichen, animalischen Sensationen. Das ist im Vergleich zu den Öko-Terroristen unserer Tage so was von wirklich, dass jeder der heute inflationär seine Umwelt schützen will, lieber den Mund halten und dieses Buch lesen sollte. Darin erkennt man dann, dass Umwelt nicht geschützt werden will, sondern entweder authentisch wahrgenommen – wie bei Baker – oder gehirngestört mathematisiert – wie bei den Grünen und ähnlichen Parteien und Organisationen – werden kann.

Aufgeteilt ist der Band in ein Vorwort, das trotz aller Größe dieses Werkes etwas arg den Bogen überspannt (es ist nämlich nicht die schönste Prosa, die je geschrieben wurde, auch wenn man gegen Sprache, Syntax und Aufbau nichts sagen kann; im Gegenteil: toll und spannend und empathisch geschrieben ist es; aber, wie gesagt, nicht von Goethe oder Kleist), sowie drei Teile, die Baker vorgelegt hat. Die Anfänge (seine Beschreibungen der englischen Landschaft, in der er lebt und die Wanderfalken mit ihm), den Wanderfalken selbst (wenn man so will: ein prosaisch schmelzender Bericht, der in keinem Biologiebuch so zu finden ist – und das ist traurig!) und einem Tagebuch, in dem er minutiös, aber nicht penetrant und nervig, einen Herbst und Winter erzählt, den das animalische Leben des Falken in seiner Nähe mit sich bringt.

Fazit:

Das waren Zeiten, die nichts mit Heimatkunde oder alten Werten zu tun haben, als man noch still und offen und nicht gestört von tausend Minimaschinen an und im Körper wurde. So wurde man Teil der Wirklichkeit. Die Naturkunden sind ein herausragendes Beispiel, dieses so menschlichen, so notwendigen Aspektes der eigenen Erfahrung. Hier ist ein treffliches, lebensnahes, bewegendes Beispiel.

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