Ein Schwarm Tauben

Ein Schwarm Tauben von Ruskin Bond

Inhalt
„Ein Schwarm Tauben“ erzählt eine kurze Geschichte, das Buch hat nur 126 Seiten, wirft aber ein Schlaglicht auf eine vergessene Episode der an Ereignissen so reichen indischen Geschichte. Wir befinden uns in Britisch-Indien 1857. Mutiny – also Meuterei, Sepoy-Aufstand oder der erste indische Unabhängigkeitskrieg, je nach Standpunkt wird dieses wichtige Ereignis der jüngeren indischen Geschichte benannt. Erstmals erhoben sich indische Soldaten gegen ihre britischen Herren, wollten sie aus dem Land vertreiben. Die Briten, bisher von der Loyalität ihrer Untergebenen vollständig überzeugt, hatten gar nicht mit der Möglichkeit einer Meuterei gerechnet.

Die britische Kultur war der indischen, die noch dazu in einander meist feindlich gegenüber stehenden Muslimen und Hindus zerfielen, doch haushoch überlegen. Dass Inder das anders sehen konnten, kam ihnen nicht in den Sinn und so hatten die Aktionen der Aufständischen zuerst überraschenden Erfolg. Engländer, Männer, Frauen und Kinder, wurden getötet, ihre Häuser niedergebrannt. Das traf auch die nicht gerade kleine angloindische Community. In den Anfangsjahren der East India Company hatten sich eine ganze Reihe von englischen Kolonialbeamten in die indische Kultur eingegliedert, Inderinnen geheiratet und Kinder gezeugt. Erst ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts änderte sich das, die Nähe der Kulturen war nicht mehr gewünscht, es entwickelte sich eine Art Apartheid und die große Gruppe Angloinder saß plötzlich zwischen den Stühlen.

So geschah es auch der Familie Labadoor, die jedoch – anders als andere – ihre indischen Wurzeln nicht verleugnete. Das sollte ihnen das Leben retten. Die 14-jährige Ruth Labadoor muss mitansehen, wie ihr Vater nach dem sonntäglichen Gottesdienst erschlagen wird. Ihr gelingt die Flucht zu ihrer Mutter und die beiden Frauen schlüpfen in die Rolle indischer Muslime. Zusammen mit anderen Frauen gelingt es ihnen immer wieder, sich zu verstecken. Als ihre Tarnung auffliegt und sie von einem Pathanen als Geiseln genommen werden, kann die Mutter die Heiratsavancen des Mannes auf ihre Tochter lange genug mit dem Hinweis auf Sitte und islamisches Recht zurückhalten, bis der Aufstand niedergeschlagen ist. Jetzt müssen sie erfahren, dass sie fast die einzigen englischen Überlebenden in ihrer Stadt sind. Mut, Geistesgegenwart, ein umfangreiches Wissen über indisches Leben und viele Freunde haben ihnen das Überleben möglich gemacht. Auch die Ehe als Zweitfrau im Haushalt des gewalttätigen Aufständischen Javed Khan ist der 14-jährigen Ruth erspart geblieben.

Ruskin Bond ist selbst Angloinder und wurde 1934 als Sohn eines schottischen Militärs und einer angloindischen Mutter in einer kleinen nordindischen Garnisonsstadt geboren. Die Ehe der Eltern wird geschieden und der Junge wächst teils in Internaten, teils bei seinen indischen Großeltern auf und sieht seinen Vater nur in den Ferien. Auch nach der Unabhängigkeit Indiens 1947 bleibt Ruskin Bond in Indien und reist erst nach dem Ende seiner Schulzeit nach England. Hier entstehen seine ersten schriftstellerischen Werke. Mit dem ersten verdienten Geld reist er jedoch zurück nach Indien, wo er heute noch lebt. Seine Romane und Erzählungen sind Klassiker in Indien, die bereits 1975 veröffentlichte Erzählung „Ein Schwarm Tauben“ wurde auch verfilmt.

Fazit
Ein ausführliches Vorwort vermittelt das Vorwissen über die historischen Ereignisse und stellt den Autor ausführlich vor. Dies und ein Glossar gehören zu der gewohnt sorgfältigen Aufbereitung indischer Klassiker und wichtiger Belletristik aus Indien, denen sich der Draupadi Verlag verschrieben hat. Damit werden Lücken in der Rezeption der Weltliteratur in Europa geschlossen, wer sich also für Indien und indische Literatur und Geschichte interessiert, oder überhaupt einen weiteren Blick gewinnen will, wird beim Draupadi-Verlag fündig. Ruskin Bonds „Ein Schwarm Tauben“ ist dabei ein guter Einstieg. Ein flüssig zu lesendes Buch mit einer spannenden Geschichte.

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