Medical Yoga: Anatomisch richtig üben

Medical Yoga: Anatomisch richtig üben

Spirit mit Verantwortung

Mittlerweile hat sich ja auch im Westen die vernünftige Ansicht durchgesetzt, dass so eine komplexe und orthopädisch anspruchsvolle Bewegungskunst wie das altehrwürdige Yoga medizinisch sauber durchgeführt werden sollte.

Zwar noch nicht vorbei, aber in Ansätzen aufgelöst, sind die Yogakurse und –bücher, die schlicht und einfach die Übungen aus den Yogatexten übernommen haben und die steifen Westler sich die Bänder, Sehen und Muskeln zerren durften, weil sie aus aus falschem Ehrgeiz (das Foto des Yogi in Perfektion als Vorbild) viel zu viel gewollt zu haben.

Christian Larsen hat diesen gesunden Weg mit seinem eigenem Körper miterlebt. Ein begeisterter Yogaanhänger seit seiner Jugend, studierte er später Medizin, um seine Bewegungskenntnisse in einer tiefgreifenden, interessanten und anthropologisch nachvollziehbaren Schule münden zu lassen: der Spiraldynamik, die sich an den Verschraubungen naturgegebener Anatomie orientiert, die Lebendigkeit statt Statik und Geschmeidigkeit statt Starrheit institutionalisieren will.

Gemeinsam mit den Yogalehrerinnen Christiane Wolff und Eva Hager-Forstenlechner, die beide in diesem Buch auch als Modelle dienen,  offeriert Larsen nun Medical Yoga.

Der Begriff ist tatsächlich neu, allerdings gibt es, wie eingangs erwähnt, auch schon einige Vorreiter auf dem Gebiet des orthopädisch sauberen Yoga. Das nach wie vor hervorragende Buch von Gary Kraftsow, Kraftquelle Yoga, sei hier stellvertretend erwähnt.

Natürlich ist der Untertitel problematisch: Anatomisch richtig üben, wie die Autorentroika behauptet, ist, zumindest aus biologischer Sicht, gar nicht wirklich möglich.

So ist unsere immer bewegliche, niemals feststehende Welt nun einmal. Aber, aber, aber: man kann zumindest annähernd anatomisch richtig üben, wobei man dann die individuelle Konstitution des Einzelnen und der Situation beachten sollte.

Dennoch ist dieses literarische Alleinstellungsmerkmal der übliche Status quo in den Gesundheitswissenschaften. Ein jeder, der auf dem Populärmarkt verlegt, beschreibt sich selbst als DEN Guru und DIE wirklich richtig Methode. Das Faszinierende: es kommen dennoch sehr gute und hilfreiche Bücher dabei heraus.

Nach einleitenden Erklärungen zu Yoga und Spiraldynamik werden die einzelnen Asanas, wie in jedem anderen Yogabuch auch, in entsprechende Funktionskapitel eingeteilt.

Stand-, Sitz-, Dreh-, Vor- oder Rückbewegungen warten mit den klassischen Asanas auf, die dann auf zwei Doppelseiten einzeln beschrieben werden. Zum einen fällt das schöne und saubere Foto von Eva Hager-Forstenlechner auf,  sowie einer gute, aber nicht überragende textliche Hinführung; neu, einzigartig und spannend ist die nächste Doppelseite, auf der das gleiche Foto quasi durchleuchtet wird, so dass man die entsprechenden anatomischen Strukturen sehen kann, die just bei dieser Übung beansprucht werden.

Darüber hinaus gibt es Hintergrundinformationen aus biologischer Sicht zu jener Bewegungsfertigkeit – wie diese Atem, Alltagssituationen oder medizinische Begebenheiten ergänzen können.

Ein kleiner anthropologischer Almanach, wenn man so will, der aber bisweilen zeigt, dass gerade jene Wissenschaft nicht unbedingt korrekt erklärt wird. Die Verweise auf Ontogenese und Phylogenese sind sehr wichtig, nur manchmal eben zu pauschal, wenn es beispielsweise um die Aufrichtung des Menschen vor vier Millionen Jahren geht. Weder der Zeitpunkt noch die Explosion jener Bewegungsform lassen sich wissenschaftlich so verifizieren.

Genau das ist das Problem der Ausrichtung auf Richtigkeit, auf Totalität. Die gibt es weder in der Natur, geschweige denn im Menschen und ein bisschen mehr Defensive hätte dem theoretischen Teil gut getan.

Ebenfalls schade finde ich die zu kurz gekommenen Hinweise der Übungen für Menschen, die gerade erst anfangen sowie das völlige Fehlen des Atemtypes (Der Ausatmer wird an dem ständig geforderten langen Nacken seine Freude haben, der Einatmer hingegen nicht).

Als großartiges Plus allerdings sollte man die sehr gute anatomische Grundstruktur und die fantastischen Variationen der einzelnen Asanas erkennen. Das gibt es in dieser Fülle selten so sauber dargestellt.

Fazit:

Trotz zahlreicher Kritikpunkte (die aber nur dadurch entstanden sind, dass man sich anatomische Wahrheit auf die Fahnen schreibt) ist das Buch sehr zu empfehlen.

 Die Fotos sind richtig gut und hilfreich, die Anleitungen wichtig und vor allen Dingen die Auswahl der Übungen und Varianten fantastisch, die Sequenzen zum Abschluss sind gut, aber bisweilen zu kurz.

Dennoch für bewusste Beweger, für Menschen mit Körperverstand eine sehr hilfreiche Quelle.

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