Norbert Fessler: Rasant entspannt: Die besten Minuten-Übungen gegen Alltagsstress
Kleine Häppchen Aufmerksamkeit
Rasant entspannt hört sich ja vom Titel her an wie ein allzu krasser Widerspruch – ist es aber nicht, zumindest, wenn man sich an die sehr ausgewogenen und wohl durchdachten Anregungen des Autors Norbert Fessler hält. Sein kleiner Ratgeber, der im medizinischen Fachverlag Trias erschienen ist, bietet neun kleine Übungsprogramme für die wichtigsten Körperregionen, die man in maximal zehn Minuten absolvieren kann. Eine gelungene und in unserer Gesellschaft sehr hilfreiche Ergänzung zu Dauerleistung und Stressbeanspruchung.
Vorneweg: Das Schwächste am ganzen Buch ist das Vorwort, das einen nicht wirklich historisch fundierten Überblick über das menschliche Streben nach Glück und Zufriedenheit geben will. Tai Chi, die Kampfform des Qi Gong, wird dort zur Heilgymnastik und das europäische Mittelalter zur Quelle vernünftiger Ratgeber. Einfach vergessen und sich mit mehr Verve dem Rest des Buches widmen!
Auch wenn man nicht wirklich herausfinden kann, welche Professur und welchen Doktorfachtitel der Autor sein Eigen nennen darf, so liegt zumindest die Vermutung nahe, dass es sich um einen medizinischen Fachmann handelt. Die neuromuskulären Hintergründe, die anatomischen und physiologischen Wissensecken sowie die selten so natürliche Mischung aus Koordination, Mobilisation, Dehnung, Kräftigung und Massage und auch die vielen Hinweise, was bei den einzelnen Übungen zu beachten ist, bieten eine professionelle und gründliche Basis.
Beginnend bei den Augen, werden auch Kiefer, Schultern, Nacken, Hände, Rücken, Beine oder Füße mit detaillierten Übungsprogrammen vorgestellt. Medizinische Indikationen, Beanspruchungsweisen und feine, meistens anthropologisch sehr durchdachte Erklärungen machen aus den Übungen wirkliche Hilfen für den Alltag. Die einzelnen Übungen sind aus einem großen Fundus bekannter Literatur geschöpft, die fairerweise am Ende des Buches aufgelistet ist. Hier finden sich dann die Klassiker der Achtsamkeitsschulung, des Feldenkrais oder Yoga sowie der Spiraldynamik, der Augengymnastik oder der Atemschulung. Allein dieses Verzeichnis ist goldwert!
Schön auch die Idee, Kombinationen der einzelnen Übungen für den Alltag (für die Fahrt im Bus, für das Telefonieren, für den Spaziergang etc.) am Ende zusammenzustellen. Noch besser die stetigen Hinweise auf langsames, bedachtes, vorsichtiges und selbstreferentielles Üben. Unnötig nur, dieser tollen Methodik, die die Natur selbst vorgibt, den Begriff Selbstinstruktive Körper-Achtsamkeitsprogramme zu geben, kurz SeKA. Naja, so muss man sich heute vielleicht abheben, ist aber von einem medizinischen Standpunkt völlig unnötig, denn die Übungen und die Anleitungen sprechen für sich.
Fazit:
Inhaltich ein fundiertes, hilfreiches Büchlein, mit ein paar kleinen Unsauberkeiten (nicht der Kiefermuskel, sondern die Gebärmutter ist der stärkste Muskel des Körpers etc.) und Fotos, die dem sauberen und bewussten Üben nicht gerecht werden. Diese Marginalien sind aber auszublenden, wenn man sich auf das konzentriert, um das es geht. Und dann ist es tatsächlich relativ leicht und gut möglich in den Zustand zu kommen, den die Menschheit aufgrund ideeller Zwänge schon lange missachtet hat: die Entspannung!