Auf See

Guy de Maupassant: Auf See

Hohe See – hohe Kunst

Auf See! Das hört sich nach Abenteuer und weiter Welt an. Nach Entdeckungen und Exotik. Nach Cook in der Südsee, Ahab im Atlantik und Magellan im Indischen Ozean. Aber nicht nach einer gemütlichen Tour an der Bucht der Cote d’Azur. Genau jene aber ist es, die der französische Lebemann und Schriftsteller Guy de Maupassant 1886 selbst erlebt und 1888 als Roman erstveröffentlicht hat. Von Antibes geht’s über Cannes, Sant Aygulf und all die kleinen Küstenstädtchen  bis zur Bucht von Saint Tropez. Kleine Mittelmeerträumereien statt Exotik und Abenteuer, aber nicht minder interessant oder lesenswert.

Wo, wenn nicht im Mare-Verlag, der sich in guter Moby-Dickscher-Manier allem Wissens- und Erlebenswertem des Wassers widmet, kommt die edle Neuauflage so richtig schön zur Geltung. Der hochwertige Umschlag portraitiert ein altehrwürdiges Foto eines kleinen Skippers – genau so mag es bei Maupassant und seiner Zweimann-Besatzung ausgehen haben. Das hochwertige Produkt wird abgerundet von einem ausführlichen Glossar, einer Biographie Maupassants und einem Nachwort Julian Barnes, der dem exzentrischen Mauspassant gerecht werden will. Nicht unerwähnt lassen sollte man an dieser Stelle so eine Kleinigkeit wie ein Leseband, das die Feinheit der Qualität auch in so scheinbar unwichtigen Punkten repräsentiert.

Maupassants Selbstbeschreibung seiner Bootstour ist einfach: sich von dem Wellen umspülen lassen und seinen Gedanken freien Lauf lassen. Doch es ist ein wenig mehr als das, denn einen Großteil seiner skizzenhaften Erzählungen findet an Land statt. In Cannes, Agay oder Saint Raphael. In all jenen Orten, die just seit jener Zeit für das stehen, was Maupassant schon damals als abstoßend empfunden hat: die mondäne, synthetische, selbstgefällige bessere Gesellschaft, die damals wie heute an jenem sagenumwobenen Küstenstrich sich selber feiert – und dabei das wirkliche Leben vergisst.

Wie Maupassant über diese bessere Gesellschaft spricht, hat was von stetig aktueller Gesellschaftskritik: Gibt es etwas Trostloseres als die Unterhaltung einer Gästetafel? fragt er angewidert. Hört sie nur an, wie sie da um den Tisch sitzen, diese Elenden! Sie plaudern treuherzig, vertrauensvoll, sanftmütig, und sie nennen das Gedankenaustausch. Was für Gedanken? fragt einer, der sich selbst Gedanken gemacht hat und der Moderne in dieser Form sehr ablehnend gegenüber steht. Noch einmal unterstrichen wird diese Form der Weltsicht, als er dem wirtschaftstypischen Raubbau eines Waldes alter Korkeichen begegnet. Damals wie heute ein seltener Rückgriff auf Werte, die – das zeigt dieses Buch so eindrucksvoll – schon lange verloren gegangen sind.

Maupassants Sprache ist naturalistisch… sagt der Akademiker. Frei gesprochen würde man sie einfach als echt, intuitiv und äußerst emotional bezeichnen. Live am Geschehen, ohne Kamera und Nahaufnahme, dafür mit Ruhe und scharfem Blick auf die Realität seiner Zeit.

Es ist nicht verwunderlich, in modernen Zeiten nur normal, dass diejenigen, die sich kritisch mit ihrer Zeit auseinandersetzen, an ihr zusammenbrechen, vor allen Dingen, wenn man ein psychologisch so geschulter, wie aber auch traumatisierter Mensch wie Maupassant gewesen ist, der letztlich schon in jungem Alter in einer Anstalt gestorben ist. Das, was er hinterlassen hat, ist umso wertvoller!

Fazit:

Ein äußerlich wie innerlich grandioses Werk – weil es die Kraft der Natur der Dekadenz menschlicher Vernunft gegenüberstellt. Nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs, sondern als wirkliches Erlebnis auf der See, in der Bucht, an der Küste und ja, auch an der Speisetafel – das Gesamtergebnis ist authentisch, spannend, faszinierend und unheimlich erhellend. Wie melancholisch macht es einen, wenn man bedenkt, dass der ganze scheinheilige Mythos schon vor über 100 Jahren komplett enttarnt worden ist – der Mythos Cote d’Azur. Sehr empfehlenswert!

 

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