Allie Condy: Cassia & Ky – Die Flucht: Band 2
Romeo und Julia in Dsytopia
Die amerikanische Schriftstellerin Ally Condie bietet mit Cassia und Ky einen klassischen Stoff an, der jugendliche, vor allen Dingen weibliche Herzen in aller Welt höher schlagen lassen muss. Ihre Trilogie ist wie so viele andere Bücher gleichen Schlages der intuitive Aphorismus des menschlichen Reifeprozesses. Pubertät als literarisches Ritual, Selbstverwirklichung als kollektive Sinnsuche, Liebe als ureigene Gottheit menschlicher Wahrheit.
Diesen Prozess verdeutlicht auch das Cover des prächtigen Hardcover-Buches: ein junges Mädchen, voll mit emotionalen Herausforderungen, die sich in Mimik und Gestik wiederspiegeln, bricht aus der Gefangenschaft einer Glaskugel aus, möchte die Verwandlung der kindlichen Bürgerstochter (und Protagonistin Cassia) zur eigenständigen Person wagen. Wie beim Bürgerrechtler oder Protestierenden streckt sich der Arm aus der engen Hülle in die Sphäre der Freiheit.
Ky Markham ist derjenige, den es zu finden gilt, um die persönliche Freiheit zu erlangen. Jener Partner des ersten Bandes, Die Auswahl, ist das klassische Pendant seit Romeos und Julias Zeiten. Hier die konforme Cassia, dort der Verstoßene Ky. Zu Beginn des Buches getrennt voneinander und mehr als die Hälfte der Seiten dieses Pageturners auf gegenseitiger Suche – kongenial transkribiert mit der wechselnden Schreibperspektive. So lernen die Leser beide Protagonisten ausführlich kennen und laben sich mal hier und mal dort am Strang der Emotionen.
Gewürzt wird die Erzählung von der Hintergrundgeschichte und zahlreichen Gedichten, die in Kursivform geschrieben sind. Ally Condie weist sich in ihrer Technik als vielschichtige Novellistin aus, die neben der genuinen Story ihr Können als prosaische und poetische Elfe offenbart und die damit eine Menge Pluspunkte bei ihrer Leserschaft machen wird.
Eigenschaften wie Intention, Wille und Sehnsucht, gesellschaftliche Themen wie Konformität und Humanismus sprechen die Altersgruppen an, die diese Form der Dsytopien schätzen. Das Buch ist nicht hyperspannend und kitschig romantisch, sondern der Übergang von einem Leben ins nächste, von der Kindheit zum Erwachsenen – und auch der Mittelteil einer literarischen Trilogie.
Kleine Flashbacks erleichtern auch denjenigen, die den ersten Band nicht gelesen haben, den Faden beizubehalten und bevor es zur Wiedervereinigung kommt, spielen Nebencharaktere und das Vertrauen in andere Menschen abseits des romantischen Vertrauenspartners eine wichtige Rolle. Die Naivität, die Unschuld und das zarte Anklopfen des pulsierenden Universums werden so mit den Persönlichkeitsentwicklungen aufgepeppt.
Fazit:
Die Figuren sind glaubwürdig, sie sind ein Abbild der Menschenwelt mit ihren Emotionen und Gedanken. Der Plot hätte an manchen Stellen etwas kürzer sein können, andererseits ist es gerade der sanfte Fluss der Liebe und des Schreckens, der einen so in seinen Bann zieht. Die Orte erinnern mit ihren kargen Gebirgsflächen an Condies Heimat Utah, der bildhafte Schreibstil macht empathisch, lässt Herzen schlagen, Hände feucht werden, den Magen knurren. Ein klassischer Ritualisierungsbericht von einer Frau, die weiß wovon sie spricht und so eine echte Hilfe für junge Elevinnen sein kann.