Das fünfte Kind von Doris Lessing
Die Zeiten ändern sich. Die Menschen, ihre Mentalität, Denkweise, Empfindlichkeit – all das, was uns zu den intelligentesten Lebewesen macht. Nur eine Sache scheint seit Jahrhunderten unverändert zu sein – die Mutterliebe. Was aber wenn sie fehlt? Diese Frage versucht „Das fünfte Kind“ von Doris Lessing zu beantworten.
Inhalt – Gegen Benimmregeln
Nichts kündigt die herankommende Katastrophe an, es verläuft alles nach Plan. Eine Frau lernt einen Mann kennen, sie haben ähnliche Lebensvorstellungen und Erwartungen, sie heiraten – mit einem Wort: sie setzen ihre Wünsche konsequent durch – oft ohne darauf zu achten, was ihre Nächsten davon halten. Ihre Träume gehen in Erfüllung – sie kaufen ein schönes, großes Haus, (wenn auch auf Kredit), sie laden ihre Verwandten zu Weihnachten ein, und in regelmäßigen Abständen erwarten sie Nachwuchs, obwohl es doch manchmal schwer ist, alles in Einklang zu bringen. Alles scheint perfekt zu sein, bis auf die letzte Schwangerschaft, die alles aus gewohnten Bahnen herausreißt.
Von Anfang an geht alles anders als sonst – schlimmer, übler, nervöser, hektischer … Die Frau ist am Rand ihrer Kräfte, doch niemand will ihr das anmerken: weder der Arzt, noch die Mutter, geschweige denn der Mann. Die Geburt des nächsten etwas „drolligen“ Kindes bedeutet das Ende des bisherigen Familienglücks. Die Idylle wird unterbrochen. Die Mutter ist hin- und hergerissen, zwischen Pflichtgefühl und Widerwillen, von tiefster Hassliebe zu ihrem Sohn gezehrt versucht sie ihn loszuwerden, um gleich danach nach ihm die Hand auszustrecken. Sie kämpft gegen ihn, sich selbst, und das Unverständnis, auf welches sie stößt.
Das Kind scheint die ganze Situation in vollen Zügen zu genießen. Er kann dem Leser einigermaßen bekannt vorkommen: kein schönes Gesicht, durchdringende Augen, extrem wortkarg, durchaus boshaft und aggressiv – er versetzt in Angst nicht nur andere Kinder, sondern auch Erwachsene und Haustiere! Der Junge ähnelt einem unmenschlichen Wesen und seine mörderischen Triebe lassen uns an Grenouille (aus dem Buch „Parfüm“ von Patrick Süßkind) oder an Kevin (im Film: „We Need to Talk About Kevin“) denken.
Fazit – Wer trägt die Schuld?
Das Buch ist nicht neu aber überzeitlich. Die Geschichte kann allen Müttern unzulässig und grässlich vorkommen, doch wenn wir den Blick davon abwenden, bedeutet das noch lange nicht, dass das Thema vom Tisch ist. Hier werden wir mit dem Tabu konfrontiert, das immer noch herumgeistert: die Mutter MUSS ihr Kind lieben. Diejenige, die es abstößt, die sich weigert, es in die Arme zu nehmen, ist nur eins: Rabenmutter. Das Urteil kommt aber vorzeitig vor. Wer trägt die Schuld? Das Kind – das unschuldige nichtsahnende Wesen? Oder vielleicht die Gesellschaft, die uns hoch gesteckte Anforderungen stellt? Wer wagt die Frage zu beantworten?