Frederik Hetmann: Das große Buch der Indianer-Märchen
Von Mutter Erde und Vater Himmel
Wenige Dinge schmerzen so sehr, wie die offensichtliche Zerstörung der Verbundenheit mit Mutter Erde. Das sind Raubbau an Pflanze und Tier, das sind Mastbetriebe mit fünfhundert Schweinen, das sind grüne Politiker, die über grüne Dinge reden und danach mit dem Auto in ihr Glas-Zement-Häuschen fahren und das ist in erster Linie die historische Betrachtung der Ausrottung allen Nicht-Christlichen. Wenn man so will, hat es die europäische Gesellschaft in einer unvorstellbaren Art und Weise fertig gebracht, ihr alle Lebendigkeit zu unterwerfen (Indianer, Indios, Aborigines, Eskimos, Afrikaner und unendlich viele mehr) und zerstörerische Glaubenssätze verpflichtend auf die Weltgemeinschaft gelegt zu haben. Der Schmerz ist deswegen so groß, weil man dies bis heute in seiner Konsequenz nur halbherzig verstanden hat, anstatt die Kirchen und deren Protagonisten endlich zu verbrennen und zur Wurzel zurückzukehren.
Allein der Begriff der Ureinwohner Nordamerikas, der Indianer, ist in seiner Etymologie ein Abbild synthetischer Wirklichkeit und ruft bei empathischen Seelen eine Folgekette des Jammers hervor. Wie viel Prozent ausgerottet? 90, 95, 98? Und den kümmerlichen Rest mit billigem Fusel alkoholkrank machen, um Verträge unterschreiben zu lassen, damit der weiße Mann noch mehr Gewinn machen kann? Wer einmal in einem sogenannten Reservat in den Vereinigten Staaten von Amerika war, möchte nur eines: nicht mehr weiß sein.
Wie schön, wie lebenswirklich, wie erbbiologisch (um es in einem wissenschaftlichen Sinne zu beschreiben), sind die Geschichten der vielen Indianerstämme, in denen es um personifizierte Helden am Himmel, heilige Tiere und sprechende Pflanzen geht. Wenn auch nicht beim Namen, so hat jeder diese Legenden schon einmal gehört, weil sie der Erde selbst entsprungen sind. Die Demut, der Respekt, die Liebe und der Glaube an unser Muttergeschöpf sind nicht umsonst der Start in dieses knapp 500 Seiten starke Abenteuer mit der Wirklichkeit.
Der mittlerweile verstorbene Frederik Hetmann hat sich zeitlebens um die Bewahrung der literarischen Schätze (literarisch im Sinne der oral history) bemüht und bei Königsfurt-Urania ist nun eine Sammlung dreier bereits erschienener Bände erschienen. Büffelfrau und Wolfsmann, Der grüne Vogel und einige Ausschnitte aus einem Indianerlexikon bilden das Triumvirat, wobei ersteres besonders zu empfehlen, letzteres relativ kurz gehalten und der grüne Vogel teilweise mit Vorsicht zu genießen ist. Wie Hetmann selbst im Vorwort zu diesem Abschnitt schreibt, vermischen sich in diesen Mythen der mittelamerikanischen Indianer archaische und christliche Sichtweise und man darf sich nicht wundern, wenn der Teufel, die Hexen und Gott hier auftauchen und sich das Moraldestillat dem Irrsinn der alten Welt annähert. Aber keine Bange, nur wenige Geschichten lehren einen das christliche Grimmsche Fürchten, der Rest ist genau so wertvoll wie vor alle Dingen die Mythen und Überlieferungen des ersten Bandes.
Dass das Papier des Buches an recyceltes Toilettenpapier erinnert und das Bild auf dem Cover auch von einem schlechten US-Western der 1930er Jahre stammen könnte: völlig unwichtig. Der Inhalt ist so schön leuchtend und nonkonform, dass man mit diesen Geschichten versteht, dass es letztlich egal ist, ob man weiß oder rot oder schwarz ist, sondern ein Kind der Mutter Erde.
Fazit:
Dass man Kindern hierzulande immer noch die moralisch-christliche Grausamkeit der Grimmmschen Märchen vorliest, wundert im Kontext mit McDonalds, Smartphone oder Nestle natürlich nicht. Es ist hochgradig pathologisch und wer stattdessen diese kleine zarte Pflanze, die irgendwo in jedem noch blüht, erhalten möchte, hat hier eine ultimative Gelegenheit. Die Indianer werden dadurch nicht wieder lebendig, was zum Heulen traurig ist; aber ihre Geschichten sind so kraftvoll, dass es zum Heulen schön ist.