Denn sie wissen nicht, was sie tun

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Denn sie wissen nicht, was sie tun: Genießen als ein politischer Faktor von Slavoj Zizek

Inhalt
Das diskursive Instrumentarium dessen sich Slavoj Zizek bedient, um sein eigenes Oevre zu schaffen, speist sich nicht nur aus Hegel und Lacan, sondern auch aus Marx und Freud, Rosselini, Hitchcock und Frankenstein (!). Sein keineswegs „obskurer Jargon“, um ihn selbst zu paraphrasieren, verbindet die Philosophie des 19. Jahrhunderts mit der Populärkultur des 20. Jahrhunderts, was ihn auch etwas zum „trendy“ Philosophen macht. Manchmal helfen dem gewitzten Philosophen auch Märchen, um seine fantastischen Theorien zu entwickeln und zum Schwingen zu bringen.

„Man lasse dem Kaiser seine Kleider“ benutzt Zizek gleich im ersten Aufsatz als Titel, um dem werten Leser Begriffe wie „Entfremdung“, „der große Andere“ und ähnliches näher zu bringen und ihn in seine Terminologie einzuführen. Das Subjekt, das diese Veränderungen wahrnimmt, bezeichne „jenen virtuellen Punkt, in dem die Reflexion selbst in die `Realität´ zurückgespiegelt wird“. Der Kaiser glaubt nur deswegen an sich, weil die anderen es ihm abnehmen, stünde er nackt vor ihnen, das bedeutet ohne die Insignien seiner Macht, wäre er ein Bauernlümmel wie jeder andere auch. Oder doch nicht?

Bodhisattwa oder der Akt des höchsten Opfers
„Je crais Dieu, cher Abner, et n‘ai point d’autre crainte“ („In Gottes Willen muss ich stille, mich ergeben, Ihm, Abner, beug` ich mich, um sonst vor nichts zu beben.“), lautet die Formel in Jean Racines „Athalie“ und nur durch die Gottesfurcht könnten alle andere Ängste gebannt werden, schreibt Zizek. Sie verlieren ihren Schrecken, da Gott von ihnen weiß und mir nur jene Prüfungen sendet, die gut für mich sind. Ist es das, was den Gehalt von Marxens „Opium fürs Volk“ ausmacht? Die Gottesfurcht kehre durch das Wunder des „point de capiton“ (Steppunkt) den Charakter aller anderen Ängste retroaktiv um und im Handumdrehen würden alle anderen Ängste in Tapferkeit umgewandelt werden.

Folgerichtig sei Gott also nur eine weitere Furcht, die alle anderen ausstreiche. In einer Lacan’schen Gleichung liest sich dann es sich dann vermeintlich einfacher, mathematisch oder vielleicht doch etwas komplizierter: „Ein Signifikant (S1) repräsentiert für einen anderen Signifikanten (S2) seinen Mangel, seinen Mangel $, der das Subjekt ist.“ Der gebarrte, durchgestrichene Signifikant $ repräsentiere die Abwesenheit oder die Anwesenheit des Gegensatzes. Für S1 und S2 repräsentierten der jeweils andere das Leere seiner möglichen Abwesenheit, wobei jede signifikante Repräsentation eine Fehl-Repräsentation sein muss, da sie das Subjekt verschiebt und entstellt. Einfacher ausgedrückt kann dieser Circulus vitiosus durch die Worte: „Du würdest nicht nach mir suchen, hättest du mich nicht schon gefunden.“

In seiner Reinform erscheint dieses Paradoxon im Bodhisattwa des Mahayana-Buddhismus. Selbst wenn der  Bodhisattwa den Weg ins Nirvana gefunden hätte, dürfte er nicht dorthin gehen, weil es einen selbstsüchtigen Akt darstellen würde. „Der Bodhisattwa vollzieht den Akt des höchsten Opfers, indem er seinen eigenen Eintritt ins Nirvana um der Erlösung der Menschheit willen aufschiebt.“ Die Befreiung ist zwar in ihm schon anwesend, aber nur als Potential, als „reine Möglichkeit, die für immer aufgeschoben bleiben muss“.

Die letzte Romantik der Polizeimacht
Die Lacansche „Negation der Negation“ führt Zizek noch in demselben Artikel zur Entdeckung, dass die wahre Transgression in zitiertem „Athalie“ von Racine das Gesetz sei und nicht die gewöhnlichen, verbrecherischen Transgressionen. In einer Welt des Verbrechens und Terrors, stecke mehr emanzipatorisches Potential in der Befolgung der Gesetze als in deren Bruch. „Die einzig wahre Transgression, das einzig wahre Abenteuer, dasjenige, welches alle anderen Abenteuer in Spießbürgertum verwandelt, ist das Abenteuer der Zivilisation; der Verteidigung des Gesetzes selbst.“, schreibt Zizek wohl in Anlehnung an G.K. Chesterton. „Die Romantik der Polizeimacht“ ist demnach die ganze Romantik des Menschen.

Sie ruht in der Tatsache, dass die Rechtschaffenheit, die dunkelste und gewagteste aller Verschwörungen ist.“ („Verteidigung des Unsinns, der Demut, des Schundromans und anderer missachteter Dinge“, Olten 1945, G.K. Chesterton). Die Verbrecher würden sich nur in dem gewöhnlichen bürgerlichen Diskurs des Besitzdenkens und Anhäufens von Besitz bewegen, während der Meisterdetektiv, die Mechanismen durchbricht, als Libertär das Gewöhnliche durchbricht und auf Abwegen die verkniffensten Fälle löst. Alles das, weil er sich der bürgerlichen Gesellschaft und ihren Sachzwängen gerade nicht unterwirft.

Das Begehren nach dem Begehren selbst
In einer anderen Vorlesung (das Buch basiert auf sechs, jeweils dreistündigen Vorlesungen, die nach dem Umbruch, im Wintersemester 1989/1990 an der Universität von Ljubljana gehalten wurden) über Wittgenstein, „entlarvt“ Zizek diesen als Hegelianer und erklärt das Begriffsrepertoire von Hysterie, Gewissheit und Zweifel. Identität sei das paradoxe Zusammenfallen eines Dings mit seinem eigenen, leeren Ort. Das Dilemma sei die subjektive Position eines Hysterikers und dessen Kennzeichnung. Einem Asketen sei es völlig unmöglich, sich seinem Körper völlig zu verweigern, also bleibe ihm nur  das Verkörpern der Verweigerung, das heißt die „Organisation seines körperlichen Lebens als ständige Verleugnung und als Verzicht“.

Seine Praxis subvertiere damit seine theoretische Position, da er nunmehr ständig damit beschäftigt ist, seinen Körper zu befrieden, anstatt eine gleichgültige Distanz zu ihm einzunehmen. Hysterie sei die körperliche Inszenierung einer rhetorischen Figur, der Mensch wisse nicht was er wirklich wolle, da sein Begehren als Sprachwesen stets gehemmt und konstitutiv unbefriedigt sei. Die hysterische Konversion bewirke nun, dass aus dem gehemmten Begehren, das Begehren nach Hemmung entstehe, das unbefriedigte Begehren in das Begehren nach Unbefriedigtheit. „Die Tatsache, dass „wir nicht wissen, was wir wirklich wollen“ konvertiert das Begehren, nicht zu wissen, in das Begehren nach Unwissenheit.“ Da das Begehren unbefriedigt bleibt, bleibt es aber auch lebendig. Das Begehren ist immer also auch ein Begehren nach dem Begehren selbst. Die „Metonymie des Nichts“ (Lacan) sei dann das Verbleiben beim Negativen, nicht als Gegenteil des Positiven, sondern gerade als ein Teil, ja geradezu einer Materialisierung der Negativität.

Der Andere als Täuschung, Verlust als Chance
Die Reflexionsbestimmung eines Objekts erlaube es uns dann, sich selbst im Umgehen mit den Eigenschaften des Objekts zu betrachten, es gehe also vielmehr um den Umgang mit der Wahrheit, als um das Eindringen darin. „Man erlangt Zutritt zum Bereich der Wahrheit, indem man zurücktritt und der Versuchung widersteht, in ihn direkt einzudringen.“ Das eigene verloren geglaubte Wissen werde auf ein Objekt, das das vermeintliche Wissen besitzt übertragen und somit der eigene Verlust eine Bedingung unsere Übertragung auf den anderen. „Als Subjekt bin ich niemals dort, wo ich denke“, sondern dort wo ich handle.

„Vernunft ist die absolute Form, außerhalb der kein Inhalt besteht.“, konstatiert er schließlich. „Das Objekt selbst ist in einem gewissen Sinne die inkarnierte Nicht-Wahrheit; seine innerste Präsenz füllt ein Loch im Felde der `Wahrheit´ aus, und das ist der Grund, warum der Übergang zur `Wahrheit´ eines Objektes dessen Verlust nach sich zieht, die Auflösung seiner ontologischen Verfassung.“ Der Weg zur Wahrheit ist Teil der Wahrheit selbst, wie es Hegel formulierte. Einer Täuschung sitzen wir allemal auf, wenn wir glauben, etwas besitzen zu können.

„Man wird getäuscht, insofern man denkt, dass das Vorgefundene schon vor seinem `Verlassen´ bestand – insofern man denkt, dass man einmal vor dem Verlust in Besitz dessen war, was durch die Reflexion verlorenging. Man wird also hinsichtlich der Tatsache getäuscht, dass man niemals das durch die Reflexion Verlorgenengegange besaß.“ Bald entdeckt das Subjekt, dass es von Anfang an keinen Halt im Anderen gab, dass es selbst die „entdeckte“ Bedeutung erzeugte, schreibt Zizek. Die weiteren Vorlesungen Zizeks, die in diesem Band zusammengefasst wurden, beschäftigen sich mit dem „Unbehagen in der Dialektik“, der „aussschweifenden Identität“, Lalangue, die „List der Vernunft“, de Sade und Kant, Berchts Versagung, Foucault und Hegels Monismus.

Fazit
Wer Trost sucht in bitteren Zeiten, wird auch in dieser Publikation von Slavoj Zizek, das finden, was er gar nicht zu suchen wusste. Wie immer ein delikates Lesevergnügen, für Lacanianer und solche die es noch werden wollen.

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