Die künftige Eva

Villiers: Die künftige Eva

Erfinde Menschen!

Was der erste Anblick der Eisenbahn, das Rauschen am anderen Ende der Leitung beim ersten Telefonat, die Abbildung der Wirklichkeit auf Papier als Fotografie und das künstliche Licht für einen Eindruck auf Menschen gemacht haben, die im 19. Jahrhundert Teil dieses endgültigen Aufbruchs in die Moderne gewesen sind, wird nicht nur in historischen Editionen und soziologischen Studien offenbar, sondern zeigt sich auch in der zeitgenössischen Kunst, besonders trefflich, höchst interessant und besonders geheimnisvoll  im zu Recht wieder aufgelegten Klassikers Die künftige Eva von Villiers, oder lang und korrekt: Jean Marie Mathias Philippe Auguste, Comte de Villiers de L’Isle-Adam.

Alles klar? Zumindest handelt es ich um einen waschechten Künstler, blaublütig von Geburt an,  bettelarm und an Krankheit gestorben, fünfzigjährig in Paris.

Im Gegensatz zu seinem Dichterfreund Mallarme, der an seiner Beerdigung die Kosten für den letzen Weg übernahm, gelang es Villiers zu Lebzeiten nicht, sein zweifelsfrei vorhandenes Talent in klingende Münze umzusetzen.

Zeitlebens von Gönnern, Eltern, zumeist aber von sehr wenig lebend, lavierte er sich durchs Dasein. Sein ausbleibender Erfolg muss rückwirkend in Beziehung zu seinem extravaganten, revolutionären Charakter gesehen werden, der es vollbrachte aufgrund seiner Abstammung auf den griechischen Königstitel zu pochen oder als Kandidat für politische Ämter, Ankündigungen vom Abriss bedeutender Gebäude in Paris vorzuschlagen.

Jene Verrücktheiten kommen nirgend besser zum Tragen als in der künftigen Eva, ein in der schönen Künstleredition von Manesse aufgelegter und neu übersetzter Wahnsinnsroman, der romantische, symbolistische und futuristische Aspekte auf einzigartige Art und Weise vereint. 

Erstmals 1886 erschienen wird ganz nonchalant der zu jener Zeit noch lebende Alleserfinder Thomas Edison als Protagonist gewählt und seine Berufung mit überspitztem Ausgang dahingehend portraitiert, dass er einen menschlichen Automat erschaffen will, der für einen reichen Adligen das Abbild einer realen, aber seelenlosen Person darstellen wird.

Ob Sallys Frankenstein, Hoffmans Sandmann oder Galatea aus Pygmalions Händen: literarische Vorbilder gab es bereits, die polemische, skurrile, verrückte, aber immer leicht lesenswerte Aufmachung und vor allen Dingen der Realbezug zu Edison und seiner Welt drücken die Unfassbarkeit aus, mit der sich Villiers der Technik und Mechanik seiner Zeit auseinandergesetzt sah.

Wahrscheinlich würde er auch heute noch, so aktuell das Buch ist, verfemt und missverstanden, wie ein weiterer Zeitgenosse und Bekannter, Paul Verlaine, in einem Gedicht es ausdrückte.

Fazit:

Vielliers Buch ist anders, diskontinuierlich, unberechenbar, aber kein schwerer Tobak wie Joyce oder Proust.

Es ist lyrisch, polemisch, spöttisch, dann akkurat und wissenschaftlich, mit Hilfe des Schreibens suchend, verstehend und begreifend, was für ein Irrsinn über die Welt hinein bricht.

Das scheint noch heute dringend angebracht und die sehr feine, exquisite Ausgabe mit Leseband und höchst anspruchsvollem Nachwort der Manesse Bibliothek schenkt einen würdigen Rahmen für ein faszinierendes Stück Kulturgeschichte.

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