Die Mechanik des Himmels – Tom Bullough
Vom Hörrohr zum Fernrohr
Adjektive sind laut Sprachvatikan und Ausdrucksgöttern sparsam und möglichst als geschickte Tupfer im Text einzusetzen.
Diametral, nahezu verschwenderisch, geht Tom Bullough mit den attributiven Farbklecksen um, wenn er die Landschaft, die Städte, die Menschen und das Leben an sich ausführlich und in aller Tiefe in seinen Romanen seziert.
Geboren in Wales, studiert in London, gearbeitet unter anderem in Afrika, muss er irgendwie auch mal eine Seelenreise ins verschneite Russland des 19. Jahrhunderts gemacht haben oder wie sonst soll man sich diese detaillierten Beschreibungen erklären?
Die Mechanik des Himmels lebt neben dem Inhalt vor allen Dingen von der sprachlichen Virtuosität und der atmosphärischen Dichte der historischen Betrachtungen.
Der den meisten Menschen wohl unbekannte Gründungsvater der russischen Raumfahrt, Konstantin – Kostja – Ziolkowski, ist Held, Vorbild und Hauptperson dieses historischen Romans, der auf eben jener realen Person, seiner Familie und seiner Heimat fußt.
Und wie nah man dem Schneegestöber, dem zaristischen Abfall, den Werften, den Pferdeschlitten, dem Eis auf Russlands mächtigen Strömen nahekommt, ist schon fast unheimlich.
Als ob Anton Cechov wieder auferstanden wäre. Aber Achtung: Wie ein russischer Großliterat liest sich Bullough nicht, denn erstgenannte zeichnet diese unbändig tiefschürfende Charakterdarstellung aus, Bullough hingegen arbeitet mehr mit Farben, Gerüchen, Situationen und, wie eingangs erwähnt, Attributen.
Da wird das Getöse pulsierend und schimmernd, die Rauchsäulen schräg und die Instrumente rumpelnd. Alles bewegt sich, nichts steht still.
Vielleicht passt diese Technik deshalb so gut zur Physik des Himmels, die der fast schwerhörige Kostja im Laufe seines Lebens kennen und lieben lernt.
Der Sohn eines Mathematikers wird von Bullough in Kindheit, Jugend und Studienzeit begleitet, seine legendären Aufsätze zur Erforschung des Himmels, die Manuskripte zur Weltraumfahrt, von der die Russen noch in den 1950er profitierten, bleiben im offenen Ende denken- und wünschenswert.
Genau jene Astronauten der Ära nach dem zweiten Weltkrieg bilden dann auch den Abschluss – den krönenden, nach vielen Entbehrungen und Schmerzen, die der Held erleiden muss.
So geht es dann mit den Astronauten in die unendliche Schwärze des Alls, einen Raumspaziergag, basierend auf den Überlegungen solch kreativer Menschen wie Ziolkowski.
Fazit:
Kostka zittert, feiert, hört nichts, wird verleumdet und von seinen Cousins malträtiert, die allliebende Mutter stirbt weg, der Vater bleibt streng und unnahbar, und doch wird am Ende gelächelt.
Und ganz nebenbei noch eine ganze Menge über Physik, und zwar grundlegende, verstanden.
Ein Mann der seiner Zeit voraus war, ein Autor, der diese Zeit auf unnachahmliche Weise wieder lebendig werden lässt. Melancholisch schwer, russisch kalt und hochmelodisch.
Poesie wird auf diese Art und Weise wissenschaftlich.