Albert Camus: Die Pest (genehmigte Lesefassung)
Erfolgreich wie eine Epidemie
Für viele Zeitgenossen liegen Seuchen wie die Pest schon Jahrhunderte zurück. Die Entwicklung der modernen Bakteriologie hat diesen ehemaligen Todesengeln den Heiligenschein genommen; die Pest – das war doch früher. Albert Camus, der große französische Philosoph und melancholische Romancier, lässt die Pest wieder ausbrechen; primär symbolisch, weil all die Grausamkeiten und grotesken Entartungen menschlichen Verhaltens während des zweiten Weltkrieges irgendwie verarbeitet werden müssen. Die Tuberkulose, eine weitere der Krankheiten, ist ebenfalls Teil der Geschichte und ist im Gegensatz zur Pest zu Camus Zeiten noch nicht vollständig eliminiert gewesen. Genau genommen litt Camus selbst unter dieser Krankheit und auch diese Erlebnisse wollten verarbeitet werden.
Das Buch ist also allegorisch und biographisch zugleich. Der Handlungsort in der algerischen Stadt Oran war einer von Camus Aufenthaltsorten während des Krieges. Im Zentrum des Romans ist Doktor Rieux und um ihn herum die sich ausbreitende Epidemie, die beide als Stellvertreter eines zunächst ohnmächtigen Camus gesehen werden können, die der Geißel Weltkrieg und Nationalsozialismus hilflos gegenüberstehen. Demgegenüber setzt Camus jene Werte der Solidarität und Humanität, die auch schon in seinen, ebenfalls in den 1940er Jahren geschriebenen und erschienen Klassiker, Der Mythos des Sysiphos, Caligula oder der Fremde auftauchen.
Die Pest ist also ein Teil der Resistance, Symbol für den Widerstand gegen fremde Herrschaft und die Möglichkeiten des Einzelnen, sich darin zurechtzufinden. Es geht nicht um Granaten oder Maschinengewehre, sondern innere Feuer, Schmerzen und die Möglichkeit des Umgangs damit. Camus, wie man ihn kennt, als Meister der Introperspektive, dargestellt an äußerlichen Handlungssträngen.
Die bei Steinbach Sprechende bücher neu aufgelegte Hörbuchfassung bringt diesem neorealistischen, düsteren und sprachlos machenden Meisterwerk auf drei CDs an die Hörer. Mit dem bekannten Schauspieler Ulrich Matthes ist eine gute Besetzung gefunden, den jene verschlossene, nüchtern melancholische, morbide Grundenergie wird in seinen einfachen, schweren und kalten Worten perfekt umgesetzt. Was definitiv stört, und eigentlich doch längst der Vergangenheit angehgören sollte sind einzelne Tracks von über zehn Minuten. Das ist bei guten modernen Hörbüchern obsolet, denn der Wiedereinstieg wird so merklich erschwert. Auch die drei CDs in die alten klobigen Plastikboxen zu stecken hätte man aufgrund haptischer und ökonomischer Vorteile besser in ein schmales Pappetui gesteckt (beides so übrigens auch schon im gleichen Verlag mit andere Werken vorbildlich gemacht).
Fazit:
Die Rechtverwertung war lange nicht geklärt, so dass die eigentlich für Frühling angesetzte Veröffentlichung dieses Hörbuches auf den Herbst verschoben wurde. Das entschuldigt natürlich nicht die leichten methodischen Schwächen (siehe oben), aber es passt doch ganz gut zu der tragischen Grandezza, dieser abgrundtiefen menschlichen Unart, die Camus in seinen Werken und in jenem, seinem Epizentrum, aufs Trefflichste beschreibt. Da muss man sich den Bedingungen fügen, auch wenn es manchmal etwas schwerer fällt.