Die stille Frau – Roman von A.S.A. Harrison
Jodi und Todd leben seit zwanzig Jahren wie ein „Vorzeigeehepaar“ ohne größere Skandale oder Probleme zusammen. Es geht ihnen gut, daran gibt es bis jetzt keinen Zweifel. Jodi hat sich mit den Liebschaften von Todd abgefunden, Todd schätzt an Jodi ihre Beständigkeit, ihr Pflichtbewusstsein, ihr Vertrauen in ihn, ihr Gefühl ihn beschützen zu wollen. Jodi arbeitet als Psychotherapeutin, den Luxus, sich ihre Patienten aussuchen zu können und von zu Hause aus zu arbeiten, verdankt sie Todds erfolgreicher Tätigkeit als Bauunternehmer und seiner Großzügigkeit. Sie bewohnen eine schicke Eigentumswohnung in Chicago.
Jodis heile Welt stürzt ein
Als Jodi von Dean die Nachricht erhält, dass Natasha schwanger ist und Todd sie heiraten will, stürzt ihre „heile Welt“ ein. Natasha ist die Tochter von Dean, Todds bestem Freund und Jodi nicht unbekannt. Umso mehr ist Jodi erzürnt und erwartet von Todd eine Erklärung, die ausbleibt. Da findet sie Schlaftabletten in Todds Jackett.
Todd kommt nach Hause und erzählt vom Tag, aber nicht von sich und Natasha, worauf Jodi wartet, doch Todd sagt nichts. Jodi schweigt ebenfalls. Das ist ihre Stärke – nichts zu sagen. „So tun, als wäre alles in Ordnung, dann kommt auch alles in Ordnung.“ denkt sich Todd. Diese Einstellung bewundert Todd immer an Jodi. (Aber manches Mal wäre ein „Donnerwetter“ oder eine Aussprache wohl besser gewesen.)
Wird Jodi zur Mörderin?
Am nächsten Tag wacht Jodi verwirrt auf dem Sofa auf, aber sie erinnert sich nun, dass sie Todd in das Bett geholfen hat. Er ist auf den Rücken gefallen und lag quer über dem Bett. Als sie ins Schlafzimmer sieht, liegt er immer noch so da. Sie überlegt, ob der Inhalt des Röllchens wohl gereicht hat, um Todd zu töten?
Doch Todd wacht wieder auf und es ist für Jodi eine Genugtuung, dass er alle möglichen Termine verschlafen hat. Ihr gefallen diese kleinen Racheattacken, von denen Todd selten ahnt, dass Jodi sie inszeniert hat. So wie sie auch den Schlüssel versteckt, der Todd einen missglückten Tag beschert.
Natasha bedrängt Todd
Natasha drängt inzwischen auf die Trennung, eine gemeinsame Wohnung und baldige Hochzeit. Todd ist unschlüssig, kann sich aber wie gewohnt nicht durchsetzen, doch Natasha ist nicht wie Jodi. Sie schreit, kommandiert Todd herum, lässt ihm kaum Zeit für sich und zwingt ihn, die meiste Zeit mit ihr zu verbringen. Todd beginnt den Boden unter den Füßen zu verlieren. Er sehnt sich nach Jodi und als sie anruft, willigt er gern ein zu einem Essen nach Hause zu kommen. Ein schöner Abend erwartet ihn, alles scheint wie früher zu sein. Auch Jodi rechnet sich aus, dass alles so werden könnte wie es war, was ändert schon ein Kind? Sie könnte sich auch daran gewöhnen.
Jodis Absturz
Da erhält sie plötzlich einen Brief von Todds Anwalt, der sie über eine Räumungsklage informiert, wenn sie nicht innerhalb eines Monats aus der gemeinsamen Wohnung, auf die sie keinen Anspruch hat, auszieht.
Jodi ist wie versteinert, damit hat sie nicht gerechnet, nachdem sie an die Fortsetzung ihrer Beziehung geglaubt und Todd sie durch das Geständnis seiner Liebe zu ihr dazu ermutigt hat. Und jetzt diese Nachricht! Und kein Wort von Todd!
Da erkennt Jodi, dass sie damals den unverzeihlichen Fehler gemacht hat, Todd nicht zu heiraten.
Zu sehr hat sie sich an Todd, diese Wohnung und die Routine des Alltags gewöhnt. Doch so leicht gibt sie nicht auf. Sie versucht so weiterzuleben wie vorher, aber es gelingt ihr nicht. Der tägliche Wodkakonsum nimmt zu, sie klammert sich an die Wohnung und geht nicht mehr hinaus.
Ein weiterer schwerer Schlag für Jodi ist die Nachricht, dass Todd zwar ein Testament zu Jodis Gunsten verfasst hat, dies aber nach der Heirat mit Natasha ändern wird.
In dieser schwierigen Phase ist Alison eine besonders gute Freundin und Vertraute. Sie bringt Jodi auf eine Idee – die endgültige Lösung ihrer ganzen Probleme…
Ist Jodi schuld?
Während einer Konferenz in Florida erfährt Jodi die schlimme Nachricht. Nun ist es also passiert, wie Alison vorausgesagt hat. Durch den Zeitungsartikel, den Jodi studiert, merkt sie, dass sie selbst zur ersten Verdächtigen geworden ist. Schon bekommt sie Besuch von der Polizei, nun erst nehmen ihre Ängste zu. Als sie bereit ist, ihre Schuld zuzugeben, erfährt sie, dass Dean den Mord in Auftrag gegeben hat. Hier nimmt der Roman eine Wendung, die Jodi völlig aus dem Gleichgewicht wirft….
Fazit:
Die brillante Erzählerin A.S.A. Harrison führt mit Feingefühl eine präzise Feder, die die Sinne des Lesers anspricht. Sie fesselt ihn mit den Gedanken der Protagonisten, zeigt die psychologischen Stärken und Schwächen, die so oder ähnlich sicherlich jedem Paar hin und wieder in den Sinn kommen, die lange Jahre verheiratet sind.
Doch eine Erkenntnis kehrt immer wieder, die heute wichtiger denn je ist: Man soll und muss miteinander reden, ob positiv oder nicht. Nur im gemeinsamen Gespräch kann man Lösungen finden – und sie nicht totschweigen!
Ein überaus lesenswertes Buch, das langsam eine feine Spannung aufbaut, die den Leser immer stärker fesselt und in die Geschichte hineinzieht. Wunderbar geschrieben in einfühlsamer Sprache. Sehr empfehlenswert.
Autorin:
A.S.A. Harrison wurde 1948 geboren und heißt eigentlich Susan Harrison. Sie lebte mit ihrem Mann, dem Visual Arts-Künstler John Massey, in Toronto, Kanada. „Die stille Frau“ ist ihr erster Roman. Zuvor hatte Harrison mehrere Sachbücher geschrieben und arbeitete als Setzerin und Lektorin für Magazine und Künstler. Während der Arbeit zu ihrem zweiten Roman erlag sie im April 2013 einem Krebsleiden.
Aus dem Englischen von Juliane Pahnke.