Du stirbst nicht

Kathrin Schmidt: Du stirbst nicht

2009 erhielt dieses Buch den Deutschen Buchpreis und den Preis der SWR-Bestenliste. Ein hochgelobtes Buch, rezensiert in jeder größeren, überregionalen Zeitschrift Deutschlands, das sich mit einer Frau beschäftigt, nicht mehr ganz jung, die nach einer Krankheit versucht ins Leben zurück zu finden. Außergewöhnlich in mehr als einer Hinsicht.

Inhalt

Helene Wesendahl, aufgewachsen und sozialisiert in der DDR, verheiratet, zum zweiten Mal, insgesamt fünf Kinder, auch aus seiner früheren Ehe, das jüngste Mädchen fünf Jahre alt, Lottchen, Schriftstellerin, eine Frau des Wortes – alles dies weiß man ja, die Eckdaten eines Lebens. Als Helene erwacht, weiß sie all dies nicht, sie kann sich nicht bewegen, nicht sprechen, nicht erinnern, weiß nicht, was geschehen ist. Nach und nach erfahren wir Leser die Fakten: Ein Aneurysma im Hirn ist geplatzt, Helene liegt im Krankenhaus. Mühsam versucht sie sich zu erinnern, versucht, ihre rechte Hand zu bewegen, zu sprechen.

Vieles geht ihr durch den Kopf, manches entwischt ihr wie ein Rockzipfel, den sie nicht schnell genug fassen kann. Im Krankenhaus und in der Reha kämpft Helene darum, ihr Leben zurück zu gewinnen, sich zu erinnern: Einer ihrer Söhne studiert, wo eigentlich? In Weimar. Und was? Oboe. Ach ja. Lottchen hat sie zuerst vergessen. Ihr lieber Mann, so hilfreich. Dass sie Eheprobleme hatten und Helene mit dem Gedanken spielte auszuziehen – auch das fällt ihr erst nach und nach ein. Der lange, lange Weg der Erinnerung, die Schmerzen der Erinnerung, die verzweifelten Versuche, sich Sprache wieder anzueignen, Maßstäbe wieder zurückzugewinnen, die Kontrolle über die Körperfunktionen zurück zu gewinnen, all das erleben wir hautnah mit. Dabei beschreibt Kathrin Schmidt den Werdegang ihrer Heldin zurück ins Leben ohne jede Larmoyanz, knapp, prosaisch, manchmal mit verstecktem Humor, gerade, wenn wieder etwas nicht klappt oder sich Helene Gedanken macht, wie sie in den Augen der anderen erscheint, wenn sie ohne Grund grinst oder gar – wie ekelhaft – sabbert! Nein, Helene stirbt nicht, aber der Weg zurück zu einer autonomen Person ist nicht leicht, dunkle Keller müssen ausgeleuchtet werden und auch Ärzte und Pflegepersonal sind keineswegs immer hilfreich, ganz im Gegenteil.

Bei ihrem Kampf um Autarkie, Selbstbestimmtheit, muss sie sich auch gegen Ärzte durchsetzen, die über ihren Kopf hinweg bestimmen, was für sie richtig sei und sich nicht die Zeit nehmen, nach der Meinung einer Patientin zu fragen, die sich nur mühsam verständlich machen kann. Helene schreibt schon wieder, mühsam und unsicher, Gedichte auf ihrem Laptop, da meint die versammlte Ärzteschaft, sie unter die Pflegschaft ihres Mannes stellen, sie also quasi entmündigen zu müssen. Sie hatte, unverzeihlich, ihr unnötig erscheinende Medikamente nicht eingenommen.

Fazit

Die Beschreibung der Wiederaneignung des eigenen Lebens ist wunderbar beobachtet, spannend, aufregend, anregend. Nicht so wichtig findet die Rezensentin Teile der Liebesgeschichte mit einer Transsexuellen, die sich der Protagonistin nach und nach erschließen, sie überfrachten den Roman eher. Der Weg zurück ins autonome Leben, die Frage, was einen menschen ausmacht, die gefährdete Beziehung zu ihrem Mann, die mühsame Erinnerungsarbeit trägt den Roman allein genug. Wissen muss man es nicht unbedingt, aber die Autorin selbst hat das Schicksal ihrer Protagonistin geteilt, auch sie erwachte nach einem geplatzten Aneurysma im Krankenhaus und kennt den Prozess der, hier partiellen, Heilung aus eigener Anschauung.

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