Karen Duve: Grrrimm
Fünf Märchen erzählt Karen Duve hier neu. Wir meinen, sie zu kennen. Das Schneewittchen, die Königstochter, die einen Frosch küssen muss, Rotkäppchen, Dornröschens Prinz und ein aufsässiger Soldat sind die Protagonisten. Aber was Karen Duve aus den bekannten Märchenstoffen macht, ist lesenswert.
Das Zwergenidyll ist eigentlich keins, kein Zwerg singt fröhlich „hayo“, wenn er zur Arbeit geht oder von ihr kommt, dafür ist die viel zu anstrengend. Ein junges, hübsches Mädchen unter sieben Männern weckt Gefühle, die absolut nichts mit der Körpergröße der Bergmänner zu tun haben. Wir haben das ja schon immer gewusst. Kleine Gemeinheiten und Rivalitäten sind an der Tagesordnung und auch Schneewittchen ist keineswegs unschuldig und sanftmütig. Auch sie weiß, was sie will und ihr fällt einiges ein, um ihre Wünsche zu erfüllen. Und was denkt sich eigentlich dieser plötzlich aufgetauchte Prinz, den niemand gerufen hat. Bloß weil er ein Prinz ist, darf er einfach so eine Leiche mitnehmen, die ihm gefällt? Also einfach stehlen? Kann das gut gehen? Schneewittchen ist in der Realität angekommen. Und die ist nicht immer märchenhaft.
Auch den anderen vier Märchen entlockt die Autorin ungeahnte Wahrheiten. Rotkäppchen, die eigentlich Elsie heißt, leidet darunter, mit ihrer roten Kappe anders auszusehen als die anderen. In manchen Gegenden dieser Welt ist anders aussehen keine gute Idee. Elsies Heimat ist so eine Gegend. Seit dort die EU-Gelder ausgeblieben sind, geht es noch schneller bergab als zuvor. Jetzt kommen die Wölfe im Winter schon bis ins Dorf und fallen über die Müllsäcke her, die keine Müllabfuhr mehr abholt. Und doch gibt es auch für Elsie ein Happy-end. Schließlich ist auch diese Geschichte immer noch ein Märchen. Auch wenn das glückliche Ende so ganz anders aussieht, als wir es sonst von Märchen kennen. Für Dornröschen gibt es so ein Happy-end auch, obwohl sie es eigentlich nicht verdient hat. Und überhaupt: Dornröschen schläft ja die ganze Zeit. Sie ist überhaupt nicht die wichtigste Figur im Märchen, das ist der geduldige Prinz, der 100 Jahre auf seine Liebe wartet – und dann natürlich zu alt für sie ist!
Ich will nicht zu viel erzählen, die Wendungen sind oft überraschend, die Märchen noch als Grimmsche Geschichten zu erkennen, aber doch eben anders! Hier sind die Zwerge kleingeistig und hinterhältig, ein Prinz seinen Launen unterworfen, manche Prinzessin herzlos und kalt. Das wahre Leben eben.
Fazit
Karen Duve, die zuletzt mit „Anständig essen“ (2010) Schlagzeilen machte, zeigt sich hier als Könnerin der kurzen Form, der geschliffenen, polierten, glanzvollen Miniaturen. Und eigentlich gibt sie in Grrrimm den Märchen ihr wahres Gewand zurück. Bevor sie aufgeschrieben wurden – und dabei geglättet, von allzuviel Gewalt und von fast jedem Sex befreit – passten sich die Märchen den Zuhörern an. Ein guter Erzähler, oder meist eher eine gute Erzählerin, konnte die Märchen ändern, drehen und wenden und neu formen, und gerade das machte ihre Beliebtheit aus und ließ die alten Märchenstoffe immer wieder neu und interessant erscheinen. Nach dem Aufschreiben verloren die Geschichten ihre Biergsamkeit, wurden starr und alt. Karen Duve hat ihnen ihre Beweglichkeit und ihre Attraktivität zurückgegeben.
Sehr gut auch als Geschenkbuch geeignet.