Thomas Szlezak: Homer: oder Die Geburt der abendländischen Dichtung
Aller Anfang ist episch
Während die Griechen und Deutschen in Zeiten der Eurokrise den moralischen und ökonomischen Disput aufrecht erhalten, gibt es nur noch eine Bastion, die das deutsch-griechische Verhältnis, ja überhaupt das Weltbild Griechenlands, nicht erschüttern kann: die kulturellen Leistungen antiker Schriftsteller und Naturphilosophen. Oben an als Zeus unter den Heroen steht Homer, dem Thomas Szlezak eine treffliche Würdigung erweist.
Dafür ist Szlezak bekannt; schon 2010 setzte er den ersten akademischen Konterpunkt gegen die aufkommende Griechenfeindlichkeit. Was Europa den Griechen verdankt, war ebenso wie sein Bestseller Platon lesen, eine Reminiszenz an die gute alte Zeit, an humanistische Bildung, an Philologie und Gymnasium im wörtlichen Sinne. Der gebürtige Rumäne Szlezak, mehrfach dekorierter Akademiker und ehemaliger Lehrstuhlinhaber für klassische Philologie in Würzburg, hält einmal mehr die Fahne abendländischer Kulturstiftung hoch.
Nun also Homer, den unbekannten Vater der Ilias und Odyssee. Selbstredend weiß Szlezak davon zu berichten, dass diese Aussage so nicht unterschrieben werden kann. Dass weder die Authentizität dieses Menschen selbst, noch die Erschaffung dieser Werke aus einer Hand, ja selbst das Zeugnis eines Epos aus der gleichen Feder, zu verifizieren sind. Das 20. Jahrhundert hatte endgültig alle Mythen der wissenschaftlichen Frühzeit ins Wanken gebracht – heute kann alles nur noch hypothetisch und vorsichtig formuliert werden. Das dann aber gewissenhaft und kennerhaft, so wie Szlezak es vorgibt.
Das Buch ist keine Abendlektüre, kein leichter Happen für Sprach- oder Eposinteressierte. Es ist eine wohl temperierte, ausladende, geradezu opulente Zusammenfassung homerischen Wissens von einem emeritierten Weisen. So leicht lachend, wie Szlelak auf dem Foto im Einband des Buches, hat man selten einen Wissenschaftler gesehen. Er muss niemandem mehr etwas beweisen, ganz generös sammelt und sichtet, präsentiert und offenbart er alles, zum Glück nicht oberlehrerhaft oder anmaßend. Die Schreibe ist wohltuend zurückhaltend.
Das gilt allerdings nur inhaltlich, denn Semantik, Orthographie und Zusammensetzung verstören selbst den hartgesottensten Intellektuellen schnell einmal. Die textliche Mischung aus lateinischen, altgriechischen und sekundärwissenschaftlichen Zitaten, dazu die immer korrekte Zitierform und der typisch akademische Satzbau müssen erst einmal verdaut werden.
Wem das gelingt, den erwartet eine sehr souveräne Zusammenfassung des wissenschaftlichen Wissensstandes in praktisch allem, was den Homer-Freund interessiert: Datierung, Sagengeschichte (hier in einem Extrakapitel der sehr lesenswerte Bezug zum Gilgamesch-Epos), Sprachkunde und Kulturhistorie. Vor allen Dingen die umfassende Darstellung, Analyse, Interpretation und Bedeutung der Ilias und Odyssee bieten eine Vielzahl von Aha-Erlebnissen, auch für Experten.
Fazit:
Ein Alterswerk des Altertums, eine weder prätentiöse noch giftige Metaposition, sondern eine souveräne Leichtigkeit in das schwer verdauliche Format. Eines dabei ist ziemlich sicher: Nach dieser Lektüre hat man richtig Lust auf die Originale (respektive die Übersetzungen), auf Homer, auf griechische Kultur – dem Euro zurück enteilen.