Atemanhalten zum großen Sprung – doch zu kurz
Wer regiert die Welt? – Geld, Freimaurer, Rothschild oder Apple? Dieser Frage geht der Althistoriker und Archäologe Ian Morris in seinem neuen gleichnamigen Werk nach. Nicht weniger als einen Paukenschlag mit weltveränderndem Ausmaß hat sich Morris vorgenommen. Vorschusslorbeeren erhält er von seinen Zunftgenossen: David Landes („Wohlstand und Armut der Nation“) und Jürgen Osterhammel („Die Verwandlung der Welt“).
15.000 Jahr auf 600 Seiten
Um unseren Blick auf die Welt zu verändern beginnt Morris nicht, wie üblich in der Vormoderne, sondern 15.000 Jahre davor. Um seinen Ergebnissen weniger Interpretationsspielraum zu geben räumt Morris gleich zu Beginn mit zwei grundlegenden Theorien auf. Er negiert die Determinations- und die Zufalls-Theorie. Doch wird der Leser im Verlauf das Gefühl nicht los, dass seine Auf-und-Nieder-Prognosen à la Kondratieff-Wellen eine Vorbestimmtheit vermuten lassen dessen er sich nicht bewusst ist. Seine einfache Erklärung für Veränderungen: Fortschritte werden durch Faule und Stümper erbracht, die einen einfachen Ausweg für den ihnen gestellte Aufgaben suchen.
Entwicklungsindex als Erklärungsmuster
Um den Entwicklungsverlauf dazulegen entwickelt Morris einen vergleichenden Entwicklungsindex, den er durch: Organisation, Informationstechnologie, Energiegewinnung und Kriegsführung konstruiert. Anhand dieses Mittels versucht Morris seine Sicht der Dinge zu erklären. Schwierigkeiten bereitet dem Leser Morris’ Eingeständnis, dass er die gewählten Indexpunkte nur aus Pragmatismus gewählt habe und damit den Wahrheit- und Absolutheitsanspruch seiner Theorie schon von vorneherein mildert. Versöhnlich wird man jedoch durch einen Blick in die Bibliografie, die seine Bandbreite an Disziplinen und umfassenden Recherchen seiner wissenschaftlichen Mitarbeiter offenbart.
Wo ist Ost und wo ist West
Die erhofften Ergebnisse bleiben jedoch hinter den geschürten Erwartungen zurück. Die Frage warum derzeitig eine westliche Vorherrschaft existiert bleibt nur schemenhaft und skizzenartig angedeutet, so dass zu dem Fragezeichen im Titel ein weiteres beim Leser hinzukommt. Die Gründe dafür liegen in den vagen Definitionen: Gebiete werden nur unzureichend eingegrenzt. Nicht zu unrecht fragt Herfried Münkler nach der Lektüre: „wo der Westen und wo der Osten eigentlich anfängt, beziehungsweise aufhört“. Insofern fehlt es dem Buch an Schärfe und Genauigkeit, die dem Leser mehr Verständnis für die Thematik gebracht hätte.
Die Neuzeit kommt zu kurz
Erschwerend kommt hinzu, dass Morris erlerntes Handwerk (Archäologie und antike Geschichte) weitaus mehr Beachtung findet als neuere Entwicklungen. Auf gerade Mal 200 Seiten werden das Mittelalter und die Neuzeit durchexerziert. Hier zeigt sich womöglich die Schwäche von Morris’ Entwicklungsindexes. Die Einfachheit ließ sich womöglich gut auf die Antike anwenden, doch für die komplexe Neuzeit genügt er nur unzureichend.
Fazit
Morris’ Buch lässt den erhofften Knall des Hammerschlags aus, da die Ergebnisse leider ausblieben. Hinter der schemenhaften und skizzenartigen Erläuterung ging viel verloren, dass dem Buch einen faden Beigeschmack verleiht: Informativ aber doch nicht erschütternd!