Dirk Kaesler: Max Weber: Preuße, Denker, Muttersohn
Notwendig, opulent und unkreativ: die erste große Max-Weber-Biographie
Endlich darf man, endlich hat man, endlich muss man: eine ausführliche Biographie des vielleicht größten, zumindest aber intelligentesten Denkers der Moderne lesen. Dirk Kaesler hat neben seiner bereits in Miniformat erschienenen und einigen anderen, halbgaren Werken über das Leben des Begründers der Soziologie in ihrer heutigen Form nun einen echten Schinken vorgelegt, der dem akademischen Rang seines Protagonisten zur Ehre gereicht. Knapp 1000 Seiten, massives wissenschaftliches Recherchieren und ein Lebensbericht, der weit über die Anfänge und das Ende, weit über Leben und Wirken Webers hinausreicht und trotzdem immer genau da bleibt. Dazu viele schwarz-weiß Fotos und Abbildungen, die aber in den meisten Fällen in anderen Werken bereits zu sehen sind.
Wie so häufig idealisiert, verfälscht oder protegiert der Biograph seinen Intimus. Max Weber als Preußen, Denker und Muttersohn – so der Untertitel – zu bezeichnen, ist – gelinde gesagt –Kaeslers frommer Wunsch und entspricht wohl seinem eigenen Faible, das sich nicht nur an der Namenswahl seiner Kinder, denen dieses Buch gewidmet ist, sondern auch dem Gedenken an seinen Großvater, einen bayrischen Rittmeister, erkennen lässt. Das wirkt alles ein bisschen so, wie mit Säbel und Ehrenkranz gezeichnet und kommt ganz anders daher als die elegische Einleitung, die die ach so großen Unterschiede zwischen der Weberschen und der heutigen Zeit beschwört. Wo genau aber diese Unterschiede sind, vermag Kaesler nicht auszumachen, ganz im Gegenteil: im ganzen Buch vergisst er die wahre Pointe des großen Max Weber, nämlich die Deszendenz des Menschen, die spätestens zu Webers Zeiten ihren Beginn nimmt. Oder sollen Doppel-Helix, Computer und Sputnik, wie der Biograph meint, irgendwas mit wirklich anthromerer Entwicklung zu tun haben?
Doch trotz alledem ist dieses groß Auftragen (Dostojewski und Goethe als Einstiegszitate) sehr berechtigt, denn Max Weber war nicht nur der berühmte Titan von Heidelberg, sondern hinterließ auch ein entsprechendes Erbe. Richtig also, jeden Blickwinkel, jeden Atemzug, jeden Vorfahr, jeden noch so kleinen Fetzen Papier zu sichten, um dann solch ein Opus Magnus hervorzubringen. Nur schade, dass dabei die psychologische Betrachtung nicht nur zu kurz gerät, sondern auch zu kurz greift. Wo ist denn so was die Subsummierung Webers, nämlich die selbstreferentielle Basis der protestantischen Ethik? Es ging ihm irgendwann wieder besser, schreibt Kaesler, als ob seine Sanatoriumsaufenthalte dazu beigetragen hätten wie heute eine Aspirin bei Kopfschmerz. Wo ist das herausgearbeitete Paradoxon, dass Max Weber als Erster den Irrsinn, der Geißel der Moderne (namentlich den Protestantismus) destilliert und selber wie verrückt darunter leidet? Nenn es Neurasthenie, nenn es Burn-Out oder aber: nenn es den protestantischen Leistungszwang der Moderne. Dieser Punkt, dieser essentielle Punkt fehlt in Kaeslers Werk leider!
Ansonsten fehlt nichts. Immer wieder Marianne und Max in ihren Selbstzeugnissen, in ihren Schriften. Dazu Freunde, Kollegen, das ganze Repertoire an Zitaten, Bildern und Forschungsarbeiten. Natürlich merkt man Kaesler an, dass er genuin wie Weber selbst eine Soziologe ist, denn diesen Spezialisten verlernt man in der Ausbildung anscheinend das Schreiben und Erzählen und bringt ihnen abscheuliches, akademisches Formulieren bei oder aber wie in diesem Fall das geschickte Arrangieren von Quellen. Genau das ist die Stärke des Buchs, dass nämlich alles darin zugrunde liegt und jeder Schatz sich öffnen darf.
Fazit:
Glücklich macht der Band vor allem, weil er eine Lücke füllt und weil er quasi lückenlos ist. Negativ ist die fehlende Selbsterkenntnis: des Biographen wie des Meisters selbst. Ein wenig mehr Demut vor der eigenen – Weber würde sagen – Gier nach Besitz und Leistung wäre wünschenswert gewesen, so dass man am Ende nicht nur alles weiß, sondern auch etwas verstanden hat.