Nicht Anfang und nicht Ende

Plinio Martini: Nicht Anfang und nicht Ende

Der Klassiker der Literatur über das Tessin ist so ganz anders, als man es erwarten würde. Keine sonnigen Zweitwohnsitze reicher Schweizer, keine Naturseligkeit, obwohl auch die Tessiner des Plinio Martini ihre Berge und ihr Land lieben. Aber das Land macht es ihnen schwer.

Inhalt

Nicht Anfang und nicht Ende spielt in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts zur Zeit der Wirtschaftskrise. Die Bauern im Maggiatal sind bitterarm. Neben der Härte der Natur, die dazu zwingt, an Hängen Heu zu machen, die eigentlich kaum begehbar sind, Terrassen in den Fels zu schlagen und Erde hinauf zu schleppen für ein bisschen Anbau, drückt auch die Wirtschaftskrise. Bezahlte Arbeit gibt es kaum, aber viele Kinder. Jede Familie hat „Engel im Himmel“, früh verstorbene Kinder. Wenn eine Frau erzählt, dass sie am Tod ihrer jüngeren Geschwister mitschuldig ist, weil sie es nicht fertiggebracht hatte, den Brei an die Kleinen zu verfüttern. Sie aß ihn selbst, der Hunger war zu groß. Neben Hunger und bitterer Armut töten auch Unfälle in den Bergen und Unwetter. Viel wird den armen Bauern abverlangt, Trost finden sie nur im Glauben, irgendwann einmal muss Gott doch ihre Standhaftigkeit belohnen! Plinio Martini beschreibt das karge Leben ohne jeglichen Jammerton, klar, poetisch und mit viel Anteilnahme.

Für die jungen Männer ist der einzige Ausweg aus der Misere das Auswandern. Amerika ruft. Auch Gori, der Ich-Erzähler, war ausgewandert. Nach 20 Jahren ist er heimgekehrt, das Heimweh hatte ihn in Amerika nie verlassen, doch jetzt ist alles nicht mehr so, wie er es kannte. Im Rückblick erzählt er sein Leben und sein Scheitern.

Gori hatte einmal die falsche Entscheidung getroffen und sein Lebensglück verspielt. Die tiefe Depression, die sich auf ihn senkt, wird er weder in Amerika, das auch nicht so war wie erträumt, noch in der Heimat wieder los. Maddalena, Goris große Liebe, und er liebten sich schon als Jugendliche, können aber nur schwer zueinander finden. Man schaut sich an, traut sich nicht zu sprechen. Besonders Gori ist schüchtern und stolz. Als sich die beiden endlich einander erklären, liegen die Papiere zur Auswanderung schon bei den Behörden. Gori meint, nicht zurücktreten zu können, sein Bruder und er wollten gemeinsam ausreisen, alle wissen bereits davon, für Gori gibt es kein Zurück. Dabei hatte Maddalena, die aus einem bessergestellten Haus stammt, ihm angeboten, in der Firma ihres Vaters ein Auskommen zu finden. So verloben sich die zwei zwar und geloben sich ewige Treue, doch dann verlässt Gori sein heimatliches Tal. In Kalifornien erwartet ihn aber nur das gleiche, was er verlassen hat: Harte Arbeit, Kühe hüten, dazu noch Einsamkeit. Schon kurze Zeit nach seiner Auswanderung erfährt Gori, dass Maddalena an einer Lungenentzündung gestorben ist. Dass er nicht von seinen Auswanderungsplänen zurückgetreten ist, verzeiht er sich nie. Zwar bringt er es in Amerika zu bescheidenem Wohlstand, aber Glück findet er nicht mehr.

Der Autor

Plinio Martini wurde 1923 im Maggiatal im Tessin geboren. Er arbeitete dort als Volksschullehrer und erlebte Not und Elend hautnah mit. 1951 veröffentlichte er seine erste Gedichtsammlung, Nicht Anfang und nicht Ende ist sein erster Roman. Plinio Martini starb 56jährige nach langer Krankheit an einem Hirntumor, er hinterließ eine Frau und drei Kinder.

Fazit

Die poetische Sprache, die nur auf dem ersten Blick so karg scheint wie die Berge und die große Empathie, die Martini für die gebeutelten Tessiner empfindet, machen dieses Buch zu etwas ganz besonderem. Nicht umsonst nennt man es in der Schweiz einen Klassiker. Wie arm und der Natur ausgeliefert die Menschen in Europa vor noch nicht einmal 100 Jahren waren, ist heute kaum mehr zu glauben. Und „Tessin“ bekommt einen ganz anderen Klang.

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