Isabel Kranz: Sprechende Blumen: Ein ABC der Pflanzensprache
Literarische Blüten
Die Naturkunden des Berliner Verlages Matthes und Seitz sind etwas ganz Besonderes. Das fängt immer schon beim Einband an (dieses Mal ein purpurner, mit dezenten Blumenmustern versehen), setzt sich beim Geruch fort (Ja, Bücher riechen – jedes anders. Einfach mal ausprobieren, wer es nicht glaubt) und dringt tief in jede Faser des Layouts ein. Da stimmen die Bilder, da klärt das Inhaltsverzeichnis auf, da erleichtert die Zitierweise das Verständnis. Und über allem steht ein geschmacklich ganz erlesener Inhalt, der sich in diesem Falle der Sprache der Blumen widmet. Die Literaturwissenschaftlerin Isabel Kranz übernimmt die Aufgabe, sich den Kontakt zu erschließen. Sie tut es, wie man ihrer Profession zugrunde legen kann, mit Hilfe von vielen ausgewählten Zeugnissen – prosaischen und poetischen, lyrischen und dokumentarischen. Von all dem hat sie selber einen großen Schluck genommen, denn ihre Zusammenfassung ist poetisch und dokumentarisch zugleich, immer subtil und am Rande einer neckischen Spitzbübigkeit.
Schon die Einleitung macht deutlich, dass es sich hier explizit nicht um eine esoterische oder naturexistentielle Annäherung an die blühenden Schwestern unserer Welt, die Blumen, handelt. Es ist keine Analogie im traditionellen Sinn und auch keine nonverbale, sphärische Kommunikationskunst, sondern der Versuch mit einem offensichtlich sehr weiten, großen und humorvollen Herzen in Archiven zu wühlen, Bildbände zu exzerpieren und seine weibliche Intuition zu benutzen, um das alles wunderhübsch aufzuarbeiten.
Historisch werden sämtliche Blumenversteher, seien es Romanciers oder Biologen, zitiert, vor allen Dingen die phänomenologischen, die luziden haben es der Autorin angetan, vielleicht weil sie selbst nah davor ist. Baudelaire, Proust, Benjamin, Goethe, Stifter, Shakespeare, aber auch musikalische Beiträge wie die der Anarchisten der einstürzenden Neubauten oder von Andreas Dorau weisen auf eines ganz deutlich hin – Transzendenz und Nonkonformismus. Den braucht man in dieser so schrecklich verklärten und aufgeklärten Welt ja auch, um sich überhaupt einem solchen Phänomen zu widmen, dem unsere Vorfahren zu den meisten Zeiten ja nur müde lächelnd gegenüber standen. Blumen sprechen, Tiere sprechen, Steine sprechen – soll das was Besonderes sein?
Das ist heute natürlich ganz anders und von daher sind die Beschreibungen der einzelnen Blumen (zu denen etwas undifferenziert, wenn auch gern genommen, auch die Blüten mancher Gehölze miteinbezogen werden) eben nicht holistisch, sondern dokumentarisch und literarisch. Mit Gattungs- und Familienhinweis, mit zahlreichen Zitatverweisen mit wunderschönen Bildern und Collagen – das ganze porträtiert auf einer Doppelseite. Einziges Manko: die völlig undurchsichtige Klassifizierung der Reihenfolge. Manche Blumen werden mit ihrem deutschen, manche mit ihrem französischen, manche mit ihrem englischen, manche mit ihrem lateinischen in die alphabetische Sortierung aufgenommen – warum das denn?
Fazit:
So kann, muss man heutzutage vielleicht, die Welt auch verstehen. Mit dem Verweis auf luzide Gedankenmacher und der eigenen Intuition genau das Richtige aus all den hunderten Vorgänger, die sich erlaubten, über Blumen zu sprechen, herauszusuchen. Ein moderner, aber sehr stilvoller und zärtlicher Versuch der Kommunikation mit der wirklichen Welt – na gut, wirklich ist draußen, aber das für drinnen ist nah dran.