Marco Gerhards: Die Studio-Bewegung
Bewegung auf hohem Niveau
Waren Sie schon einmal in einem Fitnessstudio? Wenn nein, haben Sie vielleicht falsche Vorstellungen von Kraftmeierei, die dringend korrigiert werden sollten. Wenn ja, haben Sie vielleicht falsche Vorstellungen von Gesundheitssport, die dringend korrigiert werden sollten. Mit Letzterem beschäftigt sich das sehr intelligente Buch von dem Anthropologen und Sportlehrer Marco Gerhards, der der momentanen Studio-Bewegung unserer Gesellschaft den Spiegel vorhält. Und vor allem und in erster Linie: vorbildlich recherchiert und wissenschaftlich argumentiert – obwohl genau das nicht beabsichtigt werden will.
Die Studio-Bewegung ist eine Mischung aus humanbiologischen Voraussetzungen menschlicher Bewegung und praktischer Anwendung im Fitness-Bereich. Dass sich das Titelbild und der Text häufig auf Studios jeder Art beziehen, ist vielleicht ein guter Aufhänger gewesen, der Inhalt und die Hinweise im Text aber gehen weit darüber hinaus. So gesehen ist das Buch eigentlich für jeden Sport- und Fitnesstreibenden eine Offenbarung. Zunächst aber mal eine sehr kritische, denn unter den gegebenen Voraussetzungen moderner Bewegungskultur ist zwar alles erlaubt, aber selten etwas natürlich. So streng das an manchen Stellen auch rüberkommt, in dem Buch steckt die große Chance sein Bewegungs- und Körperverständnis ganz neu zu überdenken.
Die Chancen dafür bietet vor allem der abschließende Praxisteil des Buches, in dem 27 Qualitätskriterien für ein sinnvolles Bewegen vorgestellt werden. Wie alle Aspekte dieses Buches behandeln sie neben den anatomischen, physiologischen und trainingswissenschaftlichen (alle drei mit Hochschulniveau vermittelt und aktuell recherchiert) Aspekten der Bewegung auch die pädagogischen und psychologischen. Gerade letztere sind das Steckenpferd des Autors, denn ganz nebenbei gelingt ihm in dem Abschnitt Psychoanatomie (ein etwas verquerer Begriff) ein selten glücklicher Abriss über das Dilemma der modernen Medizin und ihres mechanischen Körperverständnisses.
Mechanisch ist in dem Buch gar nichts – außer vielleicht der etwas blassen Gestaltung und den zum Teil unschönen Lektoratsfehlern, die sich hauptsächlich auf Rückumschlag und im Inhaltsverzeichnis finden. Da hat der Verleger zum Abschluss des Buches wohl keine Zeit mehr gehabt. Sei es drum, hier regiert in erster Linie der hervorragende Text. Und auch die circa zwanzig Abbildungen sind jede für sich sehr wertvoll. Sie sind vielleicht nicht die schärfsten oder qualitativ hochwertigsten, aber dafür unterstreichen sie das Gesagte kongenial und drücken an vielen Stellen die Kernbotschaft des Buches aus: Die Lebendigkeit des Körper kommt entweder von innen oder aber sie wirkt aufgesetzt.
Fazit:
Für Bewegungsfreunde und –muffel der ideale Ratgeber. Die einen werden endlich mit unsinnigen und gefährlichen Vorstellungen aufräumen und klarer und präziser trainieren können, die anderen werden hier verstehen, warum sich gar keine Bewegung eben nicht nur schlecht anfühlt, sondern auch schlecht bekommt. Der Autor greift tief in die Schatzkiste modernen wissenschaftlichen Wissens, ohne dabei aber der Akademie zu verfallen. Ganz im Gegenteil – die Professoren und Lehrstühle bekommen ob ihrer mechanistischen Körperauffassung ihr Fett weg. Übrig bleibt die reine Bewegungsfreude des Körpers. Ein ganz seltener und umso wichtigerer Ratgeber!