Spinner

Spinner von Benedict Wells

Inhalt
Jesper Lier, 20, weiß nur noch eins: Sein Leben muss sich ändern, und das möglichst schnell und radikal. Nach dem Abitur ist er von Bayern nach Berlin gezogen, und er war anfangs fest davon überzeugt, es nach seiner Zeit als Zivildienstleister schnell zu viel Geld und Ruhm zu bringen, denn sein noch nicht ganz fertiggestellter Roman ist in Jespers Augen ein Meisterwerk. Leider ist Jesper jedoch der Einzige, der von der Genialität seines Romans „Der Leidensgenosse“ zutiefst überzeugt ist.

Durch das Schreiben an seinem Roman hat sich Jesper zunehmend von seiner Umwelt isoliert – zwar erstreckt sich die Geschichte „des Leidensgenossen“ mittlerweile über mehr als 1.000 Seiten, doch gleichzeitig kann Jesper die Zahl der Menschen, die ihm nahestehen, an einer Hand abzählen. Jesper lebt in einer kleinen, dunklen Kellerwohnung und verlässt diese nur, wenn es unbedingt nötig ist. Seinen Alltag bewältigt er schon seit Monaten nur noch mit besorgniserregenden Mengen an Alkohol und Schlafmitteln. Doch eines Tages tauchen aus heiterem Himmeln Gustav und Frank auf, Frank kennt Jesper bereits seit Kindertagen, und Gustav ist der einzige wirkliche Freund, den Jesper in Berlin hat. Gemeinsam versuchen die beiden, Jesper aus seinem Tief herauszuholen, und eine Reihe turbulenter Ereignisse nimmt ihren Lauf.


Eine tragikomische Geschichte über das Erwachsenwerden, die Angst vor falschen Entscheidungen und über das Zerplatzen von Lebensträumen

Der Hauptprotagonist in „Spinner“, Jesper Lier, ist nach dem Bestehen des Abiturs seelisch in ein Loch gefallen: Er hoffte, nun endlich frei sein zu können, und seine eigenen Entscheidungen treffen zu können, weshalb er kurzerhand von München nach Berlin zog. Bei der Gelegenheit nahm er sich auch gleich vor, sich nun voll und ganz auf das Schreiben an seinem ersten Roman zu konzentrieren, und sich dabei um die alten Schulfreunde nicht allzu viele Gedanken zu machen. Dies gelingt ihm auch relativ gut, allerdings will sich der literarische Erfolg noch nicht recht einstellen.

Die ersten 100 Seiten von „Spinner“ sind unglaublich komisch, und Wells zeichnet in gewisser Weise eine Karikatur des Hauptprotagonisten Jesper. Jesper ist nicht nur ein notorischer Lügner, sondern er schafft es auch nicht, in den entsprechenden Situationen die richtigen Worte zu finden – vor allem gegenüber Frauen wirkt Jesper sehr unsicher, was auch dafür sorgt, dass der erste Teil des Romans eher leicht zu lesen ist, und dem Leser dabei das eine oder andere Lächeln ins Gesicht zaubert. Umso wirksamer sind deshalb dann die letzten beiden Teile des Romans.

Wells gelingt es, eine ungemeine Tragik und Tiefe in die Geschichte von Jesper Lier hineinzubringen, dass der Leser sich manchmal fragen mag: Wo war dieser Charakter denn auf den ersten 100 Seiten? Dennoch wirkt die Charakterveränderung von Jesper nicht zu konstruiert, sondern sie erscheint vor dem Hintergrund von Jespers Lebensgeschichte und seinem „Werdegang“ in Berlin absolut glaubwürdig. Während auf den ersten 100 Seiten von „Spinner“ mehr die komischen, oberflächlichen und grotesken Charakterzüge von Jesper im Vordergrund stehen, lassen sich die letzten 200 Seiten als ein Blick hinter Jespers Fassade bezeichnen. Die Handlung selbst wird dabei tiefschürfender beschrieben und ausgestaltet, dennoch bietet „Spinner“ über 307 Seiten auch immer wieder komische Momente.

Fazit
„Spinner“ ist der zweite Roman des jungen Autors Benedict Wells (Jahrgang 1984) bei Diogenes. Mit „Becks letzter Sommer“ gelang Wells ein von der Presse gleichermaßen beachtetes und gefeiertes Debüt. Während „Becks letzter Sommer“ noch bis zu einem gewissen Grad als „Reiseroman“ bezeichnet werden konnte (vor allem deshalb, weil die Handlung zu etwa gleichen Teilen an verschiedenen Orten und Städten Europas spielt), handelt es sich bei „Spinner“ um einen „Berlin-Roman“. Trotz der in der Literaturwelt bereits zahlreich vorhandenen „Berlin-Romane“ und Berliner Autoren, ist „Spinner“ ein wirklich lesenswerter Roman.

Er erzählt nicht nur eine klassische Geschichte über das Erwachsenwerden, sondern er regt zum Nachdenken über eigene Träume und Lebensperspektiven an. Zwar mag die teilweise verwendete Jugendsprache für ältere Leser manchmal etwas gewöhnungsbedürftig sein, doch eine wirklich gute Geschichte entschädigt bekanntlich für vieles. „Spinner“ ist deshalb als Lektüre (fast) vorbehaltlos zu empfehlen, und es bleibt zu hoffen, dass Benedict Wells die deutsche Literaturszene auch in Zukunft noch mit weiteren Romanen bereichern wird.

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