Kurt Bayertz: Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens
Nicht biologisch, nicht gut
Was praktische Philosophie – im Vergleich zu theoretischer – wohl sein mag? In Münster hat Kurt Bayertz jedenfalls einen so genannten Lehrstuhl inne und versucht sich vor allen Dingen in bioethischen und anthropologischen Fragen einzubringen. Zusammenfassend ist er also der Experte für philosophische Anthropologie, die er in seinem neusten Werk Der aufrechte Gang offenbaren möchte.
Dies gelingt nur, wenn man bereit ist, sich auf philosophische Spielereien einzulassen und anthropologisches Wissen beiseite zu schieben. Denn Bayertz beschäftigt sich auf über 400 Seiten mit dem aufrechten Gang des Menschen, erwähnt aber nicht einmal die stammesgeschichtlichen Vorfahren wie den Australopithecus oder andere Arten der Homo-Familie.
Stattdessen sinniert er frei von der Leber weg über die Ansichten vermeintlich intellektueller Größen und ihrem Bezug zum aufrechten Gang. Platon, Aristoteles, Dante, Locke oder Hegel. Sie dienen nicht nur als heroische Einleitungen in Sentenzform vor den jeweiligen Kapiteln des Buches, sondern selbstredend auch als Quelle der Untersuchung.
Bayertz begeht, fast schon zwangsläufig, den gröbsten aller Fehler, der schon vor über 100 Jahren, namentlich von Darwin, Haeckel und Co ad acta gelegt worden ist: Die Überlegenheit des Menschen. Genau jene macht er am aufrechten Gang fest, dabei ist dies nur ein einzelnes selektives Merkmal einer Tierart. Jene biologischen und soziologischen, also genuin anthropologischen Überlegungen fehlen nahezu komplett in dem Buch. Das ist schade und viel ehrlicher wäre es gewesen, die Vorgehensweise als reine Philosophie zu bezeichnen.
Gerade im physiologischen Bereich weist die Schrift eklatante Schwächen auf, die zeigen, dass die geistige Selbsterhöhung jedes Maß verloren hat. Zum Stehen und zur Aufrichtung braucht man in erste Linie nicht angestrengte Muskeln, wie Bayertz als Kronzeugen Hegel zitiert, sondern Mühelosigkeit und Vertrauen. Wenn man es physiologische ausdrücken will, dann könnte man es ein austaxiertes Vegetativum nennen.
Auch das Denken, dass Bayertz gerne in Zusammenhang mit der Aufrichtung stellen möchte, hat, wie jedes verhlatensbiologische Buch seit Konrad Lorenz ihm gezeigt hätte, ausschließlich und nicht nur teilweise, mit der Sozialität der Tiergruppe Mensch zu tun.
Fazit:
Lobenswert: Layout, Aufmachung, auch die Schreibe (gar nicht sooo akademisch), dazu ein tolles Literatur- und Personenverzeichnis. Ansonsten bleibt alles beim Alten: aufklärerische Fehlinterpretation geistiger Prozesse. Das ist keine Anthropologie, sondern Philosophie, und auch die ist altbacken.