Vikas Swarup: Immer wieder Gandhi
Ein absolut übler Zeitgenosse wird erschossen, sechs mögliche Verdächtige tragen eine Waffe bei sich und haben mehr als ein Motiv. Wer war es also? Ein klassischer Krimi ist Vikas Swarups zweiter Roman trotzdem nicht, er ist etwas viel besseres: eine punktgenaue und bitterböse Abrechnung mit den Übeln einer durch und durch korrupten und geldgierigen Gesellschaft. Und wer Vikas Swarups verfilmten ersten Roman Rupien, Rupien nicht kennt und wer auch aus dem Namen des Autors und dem Klappentext nicht erschließen kann, dass es sich um einen Roman handelt, der in Indien spielt, dem hat der Verlag mit dem absolut blödsinnigen Titel Immer wieder Gandhi mit dem Zaunpfahl zugewunken. Der englische Originaltitel lautet Sechs Verdächtige, aber offensichtlich konnte man den nicht übernehmen! Dabei sagt der präzise, um was es geht.
Inhalt
Schon seit Jahren beobachtet der Journalist Arun Advani die kriminellen Machenschaften des Vicky Rai und schreibt seine Kolumnen über ihn. Durch und durch korrupt und überheblich ist der Sohn des nicht minder verbrecherischen Innenministers von Uttar Pradesh, reicher Geschäftsmann und Chef eines erfolgreichen Wirtschaftskonglomerates, der meint, über allen Gesetzen zu stehen. Schon vor Jahren kam er in die Schlagzeilen, als er betrunken sechs Obdachlose überfuhr, die auf dem Bürgersteig schliefen. Da sich jedoch die Zeugen plötzlich in Luft auflösten bzw. sich nicht mehr erinnern konnten, blieb Vicky Rai straffrei, ebenso wie für die Jagd auf vom Aussterben bedrohte Wildziegen. Auch der Mord an einer Studentin, vor vielen Zeugen schoß Vicky ihr auf einer Party ins Gesicht, weil sie sich weigerte, ihm nach der Sperrstunde noch einen Drink zu servieren, bleibt ungesühnt. Obwohl der Mord öffentlich geschah, gelingt es dem Vater, seinen Sohn herauszuhauen und der hat nichts eiligeres zu tun, als seinen Freispruch mit einer großen Party zu feiern. Das große Anwesen ist voller Gäste, plötzlich geht das Licht aus, ein Schuss fällt, Vicky ist tot. Die Polizei riegelt das Anwesen umgehend ab, sie war ja bereits vor Ort, sechs Gäste tregen eine Waffe bei sich, auch der Vater des Ermordeten. Alle sechs werden festgesetzt und Arun Advani beleuchtet ihre Motive, erzählt ihre Lebensgeschichten. Zwei Mitglieder der Politikerkaste, die vor rein gar nichts zurückschrecken, um ihre Macht zu sichern, ein kleiner Handydieb, dem eine große Summe Geldes in die Hände gefallen ist, ein Schauspielerin, ein Stammesangehöriger, ein mit einem falschen Heiratsversprechen nach Indien gelockter Amerikaner. Und wie bei jedem guten Krimi wartet der Autor am Schluss mit einer überraschenden Wendung auf.
Fazit
Eine spannende Geschichte, die einen guten Einblick gibt in die Übel der indischen Gesellschaft, bitterböse und entlarvend. Ein Wermutstropfen ist die Darstellung des Amerikaners, der so platt karikierend geschildert wird, dass ich mich an Slapstick-Stummfilme erinnert fühlte. So übertrieben musste er eigentlich nicht sein. Auch bei der Beschreibung der Besessenheiten des Bürokraten, der glaubt, Gandhi lebe in ihm und verderbe ihm in einer Mischung aus Weltfremdheit und Gutmenschentum seine Geschäfte, geht der Autor ein wenig zu weit. Weniger Holzhammer wäre besser gewesen. Abgesehen davon erinnert der Roman in seinen besten Stellen an eine amerikanische Srewball-Comedy, ungemein witzig, bissig, pointenreich und entlarvend. Rasante Gesellschaftskritik, spannend, ungeheuerlich und herrlich zu lesen.