Helmut Rennschuh: Innehalten: Eine Anstiftung zur Entschleunigung
Ruhe! Jetzt!
Die Anstiftung zur Entschleunigung, die der Untertitel dieses feinen Werkes von Helmut Rennschuh ziert, sollte zunächst einmal überdacht werden. Was ist denn eigentlich eine Entschleunigung? Woher kommt dieses postmoderne Wörtchen; welche Berechtigung hat es sich erarbeitet, ständig als positive Alternative zur rastlosen Gesellschaft herhalten zu müssen? Woher es genau kommt weiß man nicht, nur lässt sich auch an diesem Wort erkennen, dass die modernen Versuche in sich sehr, sehr paradox sind und unsere Gesellschaft auch durch solche Wörtchen alles andere als tatsächlich entschleunigt wird. Warum, werden Sie erschreckt fragen? Noch dazu, wo dieses Buch hier richtig gut ist. Die Sache ist ziemlich simpel: Im Wort Entschleunigung stecken unwichtige deutsche Vorsilben und Endungen und ein zentraler Begriff, der dem Nervensystem entgegenspringt. Die Schleuder – die rastlose, sich immer weiter drehen Spirale moderner Zwanghaftigkeit.
Und das ist dann auch schon alles an Kritik an diesem Buch; dass es nämlich einerseits die Erkenntnisse der Neurobiologie, der Gehirnwissenschaftler, besonders hoch hält, andererseits dann aber eben solch widersprüchliche Angebote wie die Entschleunigung, die es nicht gibt, parat hält. Dazwischen aber ist ganz viel Luft und Raum fürs Innehalten, für Einblicke, Ausblicke und einen großen Fundus an praktischen Übungen. Rennschuh ist ein umfangreiches, manchmal ein bisschen zu breit getretenes Werk gelungen, das in sich meist schlüssig und harmonisch ist.
Das liegt auch an der sehr weltgewandten Arbeitsweise des Autors. Nicht nur, dass jedem Kapitel Zitate großer deutscher Literaten voranstehen, er bergründet seine Argumentation auch mit dem größten aller Dichter und seinem Intimus, dem Goetheschen Faust. Das ist nicht nur verständlich, sondern auf diese didaktische Art und Weise auch richtig erhellend und bewegend. Moment, verweile doch, du bist so schön! So schrie der Faust, und Rennschuh bietet eine wirkliche Möglichkeit der Umsetzung.
Das Tolle: Die Übungen und Experimente sind (im Gegensatz zum Untertitel) sprachlich verständlich aufbereitet und bieten je nach Kapitel und im Gesamtverlauf des Buches betrachtet alle möglichen Bereiche des Innehaltens. Alltag mit Arbeit und Freizeit, Sport, Computertätigkeiten oder Musikinstrumente sind einige der Bereiche. Methodiken sind Wahrnehmungsübungen, sinnliches Spüren, Kommunikationstipps, nachvollziehbare Materialexperimente oder psychologische Aufstellungen. Ein wirklich großer Reigen an Angeboten, die es zu nutzen gilt.
Dabei beruft sich der Autor neben den Heroen deutscher Dichtung auf seine schon in anderen Büchern zitierten Vorbilder, als da wären: Der gleichnamige Begründer der Alexander-Technik, die Philosophie des ZEN, die wunderbar einfache und wirksame Voice-Dialogue-Methode und zahleiche Inspirationen von Lichtjägern wie Eckhart Tolle, Ken Wilber oder Willigis Jäger. Einzig die Hirnforscher wirken so ein bisschen aufgesetzt, vor allen Dingen wenn man sich – auch anhand der anderen Leitmotive – vergegenwärtigt, wo das Gehirn seinen Ursprung hat (nämlich im Bauch) und wie wenig es im Gegensatz zu Herz oder andere Energiezentren in Momenten wahren Innehaltens gebraucht wird.
Fazit:
Ein reichhaltiger Schatz an Übungen und Experimenten; ein liebevoller, sanfter Moderator und Autor und eine gelungene, runde Sache, die nur ein ganz wenig an der größten Geißel der Moderne krankt. Der Wichtigkeit des Gehirns. Sagen wir es so: Wer innehält, wird alles erfahren, nur nicht denken; von daher: weiter so.