Josef Reichholf: Ornis: Das Leben der Vögel
Essenz der Vogelbeobachtung
Sympathische Selbstironie? Auf jeden Fall, wenn sich der Professor für Zoologie Josef Reichholf nicht nur in seiner liebsten Freizeitbeschäftigung unter Gleichgesinnten so nennt, sondern auch gleich eine launige Monographie mit eben jenem Titel vorlegt. Die Ornis, das sind wissenschaftsdeutsch Ornithologen, also diejenigen Fachleute, die sich mit Leben, Wesen, Verbreitung und vielen Besonderheiten der Spezies, korrekter, der Klasse der Vögel beschäftigen. Reichholf hat das Jahrzehnte lang hauptberuflich gemacht und fasst seine Erkenntnisse und Erfahrungen nun in einem sehr runden und tiefgründigen Buch zusammen.
Eins ist klar: Die subjektive Position des Autors scheint aus jeder Zeile durch – und das ist auch in Ordnung so. Dass die Vögel, wie er schreibt, die optimalste und großartigste Krönung der Evolution darstellen, würde ja ein Anthropologe ebenso vom Menschen behaupten wie ein Fischbegeisterter von den Wasserwesen. Nichtsdestotrotz werden just jene überragenden, spannenden und hoch interessanten Fähigkeiten der Flugfreunde gekonnt extrapoliert. Allein die amüsanten Beschreibungen, wie Mensch und Vogel im Wechselspiel einander gegenseitig Gesang und Melodien nachahmen, zeugt von der Überlegenheit und großen Intelligenz der fliegenden Belegschaft.
Natürlich ist Reichholf ist erster Linie ein emeritierter Professor und als solcher gewieft in Dingen, die Naturfreunde voneinander trennen können. Die einen nämlich lieben die pure Aufmerksamkeit, die anderen darüber hinaus bündeln ihre Objekte mit der Systematik, Logik und vor allen Dingen dem Vokabular der Studierstuben. Das wirkt, auch in dieser Werk, pedantisch und zwanghaft, ist aber glücklicherweise auf ein Minimum reduziert. Überhaupt schafft es der Autor zu unterhalten, auf authentische Exkursionen einzuladen, Freund und Partner des Lesers zu sein, zumeist auch in der Sprachwahl sowie bei den wenigen, aber hervorragenden bunten Beispielfotografien der Vögel.
Inhaltlich ist alles versammelt, was der Interessierte zur Einführung (denn für die Ornithologen-Kollegen wäre diese Monographie größtenteils bekannt) braucht: Biologisches Verhalten, Kulturinteraktion mit dem Menschen, Mauser, Gesang, jahreszeitliche Besonderheiten, Anatomie und Physiologie, Lebensweise und auch die Gefährdung der gefiederten Freunde sowie der Vogelschutz werden vorgestellt.
Fazit:
Eine sehr umfassende, immer verständlich geschriebene Einführung in die Welt der Vögel. Faszinierend, amüsant, bisweilen ein wenig professorisch pedantisch, äußerst subjektiv und vor allen Dingen: hochprofessionell. Der Autor weiß genau, wovon er spricht. Er lag jahrelang auf der Lauer und offeriert hier eine gelungene Mischung aus Fachwissen und persönlicher Offenbarung.