Marco Gerhards: Phantastisches Südamerika: Reise in eine fremde Welt
Aus dem wirklichen Leben
Genau so geht Prosa heute. Schnell, rücksichtslos und trotzdem immer en point. So wie es das schauderhafte weltweite Netzwerk mit den unschönen Namen Internet vormacht, so folgen die Lemminge der Hypermoderne dem schnelllebigen Verwandeln. Doch nicht alles, was schnell und rücksichtlos, modern und technisch daher kommt, ist Rückschritt und humaner Abfall. Es gibt Oasen der Kreativität, Webseiten, die es wert sind, besucht zu werden und Emails, die erheiternd, spannend und, ja, lesbar sind. Marco Gerhards hat dieses seltene Unterfangen bravurös absolviert und im Interconnections-Verlag einen Reisebericht veröffentlicht, der einst als elektronische Botschaft für die Freunde zuhause gedacht war und nun ein besonders alternatives Lesevergnügen für die guten, alten Buchgourmets bereit hält.
Südamerika: der erste Verrückte war wohl Alexander von Humboldt, der seinerzeit mit seinem französischen Kollegen Aime Bonpland den Kontinent kartographierte, kennenlernte, durchstöberte und für europäisch-aufgeklärte Verhältnisse richtig fein behandelte. Na gut, deren Reise dauerte mehrere Jahre, verglichen mit dem, was der Autor hier in einigen Monaten hinter sich bringt. Aber die feine Behandlung, vielmehr die Ehre von dem Herz der Indios, von der Naturgewalten, vor der Eigenständigkeit jener faszinierenden Welt, ist ihnen gleich. Mehr Offenheit und schonungslose Beschreibung der momentanen Zustände sind selten. Entweder lamentiert die Journaille von oben herab über die bösen Ausbeuter oder die Ausbeuter selbst sind am Werk und dann ist ja eh alles zu spät. Aber hier findet sich tatsächliche eine sympathische und natürliche (das inflationär gebrauchte Wort hier genau so annehmen, wie man es versteht) Herangehensweise.
Doch nicht nur offenes Staunen auf Märkten in Bolivien, die ans Mittelalter, oder bei Urwaldexpeditionen, die an Thoreaus Walden erinnern, werden aufgewärmt; auch urbane Schmankerl, also das Handy in der Kirche und die ganz profanen Reisehighlights der Andenwelten, stehen auf dem Programm. Sechs Länder (Peru, Bolivien, Ecuador, Argentinien, Chile und Uruguay) sind bereist worden, als Bonus gibt es das Alle-Zusammen-Land. An solchen Wortspielereien merkt man (und das jederzeit bei der Lektüre), dass hier jemand keine Lust mehr hat auf Konformistenkleidung, sondern sich so ausdrückt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Das ist häufig schnell und catchy, doch immer auch tiefgründig und vor allen Dingen: witzig.
Das mag den zwanghaften Protestanten abschrecken; aber wer über die innere Problematik so offen spricht wie Gerhards, wenn er nämlich in schäbigen Hosteltoiletten seinen Exkremente aufgrund der Veralberung der Toilette nicht abspülen kann, sich dann fragt, wie mit dem unschönen Rest in der Schüssel vorzugehen ist, und darüber offen fabuliert, der hat die Lacher auf seiner Seite. Eben weil man eine Seite später sofort wieder in tiefer, historisch akkurater und immer sauber recherchierter Kulturbetrachtung steckt.
Das Werk kommt ganz ohne Bilder aus, außer dem zwar bunten, an sich aber etwas belanglosen Titelbild mit Papageien. Auch der Titel selbst ist ja kein Reißer vor dem Literaturhimmel, denn dass Südamerika phantastisch ist, na gut, das hört sich so ein bisschen nach Regionalzeitung an; aber gut, solange der Inhalt dann tatsächlich genau jenes Gefühl transportiert, wollen wir ruhig sein.
Fazit:
Schwächen hat da Buch vor allem in der Aufmachung. Der Index ist recht schmal, ebenso ist der Druck manchmal nicht wirklich satt. Aber das sind Marginalien auf dem Weg zu einer persönlichen Verwandlung. Genau jene nämlich kann man mit diesem Trip in den Wahnsinn, diesem authentischen, tiefgründigen Abenteuer erreichen. Ein besonderes, weil einzigartiges und sehr, sehr lustiges Büchlein. Geheimtipp!