«Russische Frauen: Innen- und Außenansichten» von Daria Boll-Palievskaya
Denkt man an russische Frauen, tauchen zuallererst die altbekannten Klischees vor dem geistigen Auge auf: Die grobschlächtige Agrargenossin auf dem Traktorsitz, die in den Weiten der russischen Kornfelder den Rohstoff für die Nationaldroge Wodka erntet; die blendend aussehende Gattin des Moskauer Industriemagnaten mit perfektem Make-Up auf High Heels, oder die leicht bekleidete Russin, die sich ganz spontan übers Internet in einen von der Mid-Life-Crisis geplagten Deutschen verliebt hat und jetzt nur mehr ein wenig Geld für Visum und Flugticket braucht, um diese große Liebe zum Blühen zu bringen.
Wie hinter vielen Klischees steckt auch bei diesen Stereotypen ein Körnchen Wahrheit dahinter – und was sonst noch das Wesen der russischen Frauen ausmacht, erklärt Daria Boll-Palievskaya in dem kompakten Buch “Russische Frauen – Innen- und Außenansichten”.
Die “russische” Seele
Die Autorin zieht einen großen Bogen und beginnt mit dem traditionellen Frauenbild, dass in Russland von alten Märchen und der Religion geprägt ist. Hier findet sich zuallererst das “Mütterchen Russland”, eine weiblich-fürsorgliche Hüterin der Familie und des Hauses, auf die sich alle ihre Familienmitglieder im Zarenreich in jeder Lage verlassen können. Später, in den Jahrzehnten der Sowjetherrschaft waren Frauen und Männer mit gleichen Pflichten an der Mehrung des Volksvermögens beteiligt, Emanzipation und wirtschaftliche Unabhängigkeit ist für Frauen aus den ehemaligen GUS-Staaten daher seit mehreren Generationen kein so dringendes Thema wie für Frauen aus dem Westen, für die bis hinauf zu den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts das Ideal der Hausfrau und Mutter über Medien und Wirtschaftspolitik propagiert wurde.
Häufige Kriege und Katastrophen sowie die Säuberungsaktionen Stalins und seiner Nachfolger haben Russland zu einer Nation des Frauenüberschusses werden lassen. Männer blieben auf den Schlachtfelder und den Lagern Sibiriens verschwunden und hinterließen Generationen um Generationen von Frauen, die im Wettbewerb die verbleibenden Herren der Schöpfung attraktiv und weiblich sein wollten. So erklärt Daria Boll-Palievskaya die auf das ungeübte Auge oft übertrieben wirkende Vorliebe der Russinnen für Lippenstift, Rouge, Kajal und Lidschatten in dicken Lagen.
Die Frauen der Oligarchen
In weiteren Kapiteln erörtert die Autorin die Motivation der “trophy wives”, mit denen sich die neureichen russischen Oligarchen umgeben, und schwenkt schließlich zum Thema, mit dem man im Internet oft konfrontiert wird: Russische Frauen auf Partnersuche im Westen. Wer sich im Web auf Partnersuche begibt, gewinnt doch spontan den Eindruck, dass zumindest ein guter Teil der heiratsfähigen Frauen aus Russland, Belarus oder der Ukraine nichts sehnlicher wünscht, als sich in einen Mann aus Deutschland oder den USA zu verlieben und mit ihm ein Familie zu gründen – egal wo und unter welchen Umständen. Diesen Schluss könnte man zumindest beim Blättern in den Karteien der einschlägigen Partnervermittlungsagenturen ziehen. Aber auch auf diesem Bereich rückt das Buch diese Bild gerade und setzt die relativ geringe Zahl der Russinnen, die ihr Land Richtung Ehe im Westen verlassen, ins Verhältnis zu der großen Zahl von Menschen, die in Russland leben und auch dort ihre Partner finden.
Mit einem Kapitel über die “Dos und Don’ts” beim Kontakt mit russischen Frauen endet das kompakte Werk nach gut fünfzig Seiten.
Fazit
Der Umfang scheint anfänglich ein wenig mager, aber im Lauf der Lektüre stellt sich zu keiner Zeit der Eindruck ein, dass das Buch schlampig oder oberflächlich geschrieben ist, sofern man nicht aus dem Blick verliert, dass ein vollständiges Bild über eine so heterogen Gruppe wie eben die gesamte weibliche Bevölkerung eines der größten Länder der Erde nicht in einigen kurzen Kapiteln zu zeichnen ist.