Sait Faik: Geschichten aus Istanbul: Erzählungen
Purer Stoff
Es gibt kleine Randnotizen im Leben eines Menschen, die es wert sind, gewürdigt zu werden. Nicht weil sie besonders toll oder wegweisend gewesen wären, sondern weil sie, nimmt man sie unverfänglich in sich auf, das Salzige in der Suppe sind; der Rosmarin im Garten, die Aura des Mondes.
Der türkischer Erzähler Sait Faik Abasiyanik, der sich aus dem verständlichsten aller Gründe nur Sait Faik nannte und heute auch allerorten so genannt wird, wurde 1925 von seiner damaligen Schule verwiesen. Warum? Irgendeiner seiner Klasse hatte vor Stundenbeginn dem Lehrer eine Nadel auf den Stuhl gelegt und hinterher wollte keiner zugeben, wer es gewesen war. So entschloss man sich in der Schuldirektion gleich die Klasse hinauszuschmeißen. Konsequent.
Da war Faik gerade 16 Jahre alt und der notwendige Umzug von Istanbul nach Bursa war nur eine der zahlreichen örtlichen und persönlichen Wechsel in seinem 45jährigen Leben. Ein Schriftsteller ganz nach dem Geschmack der neuen Religiosität des 20. Jahrhunderts: unstet, zerrissen, wandelbar, anarchistisch, poetisch und alkoholkrank. Die Leber zahlte es ihm mit dem Versagen heim. Ende des Künstlerrauschs.
Im erlesenen Manesse-Verlag sind erstmals in deutscher Sprache vierzig seiner ungefähr achtzig Kurzgeschichten veröffentlicht wurden. In der kleinen, feinen Hardcover-Ausgabe mit einem vorzüglichen Nachwort von Gerhard Meier präsentiert sich der türkische Meistererzähler dem deutschsprachigen Publikum. Der Manesse-Verlag hat ein goldenes Näschen für Schätze, die bislang nicht den Weg in die hiesige literarische Wirklichkeit gefunden haben; notwendig bei einem Künstler, dessen Kurzprosa schulischer und kultureller Höchststandard seines Heimatlandes ist.
Die vierzig Geschichten sind chronologisch sortiert, von 1936 bis zu seinem Tod 1954 gibt es Einblicke aus den verschiedenen Schaffensperioden. Die Methodik, die eigentlich gar keine ist, bleibt gleich; die Inhalte verschieben sich ganz natürlich von dem Themen eines jungen Mannes zu einem weisen, häufig auch melancholischen Alten. Feurigen Frauenträumen weichen selbstkritische Lebensbetrachtungen.
Der Stil ist offen, skizzenhaft, prosaisch pur. So als würde man just in diesem Moment anfangen, ein Bild zu zeichnen. Schreibtisch, Maschine, Gedanken an türkische Erzähler, hinein tippend, verschenkend… So bleibt das Ende offen, die Geschichten wehen vorbei, ohne wirklich je da gewesen zu sein – impressionistisch, einfach und knackig. Wie ein Schauder, der aus der Tiefe kommt und auch dahin wieder verschwindet.
Fazit:
Wer lebenswirkliche Einblicke in die türkische Kultur gewinnen, wer Realismus mit Vergänglichkeit erfahren, wer literarische Kraft ohne Anstrengung genießen möchte, der darf sich mit Faik beschäftigen. Ein Streuner auf den Straßen, den Märkten und den Wiesen. Skizziert, hingeworfen, feil geboten. Ohne Tamtam und Trara. Einfach leben. Das ist bewegende Prosa!