Marita Krauss (Hrsg.): Rechte Karrieren in München.
Von der Weimarer Zeit bis in die Nachkriegsjahre. München, 2010.
„Eine ganze Reihe dieser NS-Karrieren lassen die Autoren in den gut recherchierten Beiträgen Revue passieren. Ob sie nun Franz Xaver Ritter von Epp heißen, Heinrich Eymer oder Hermann Pfannmüller – sie alle dienten dem NS-Regime. …“ schrieb die Süddeutsche Zeitung am 21.12.2010 zum oben genannten Buch.
Waren diese Beiträge tatsächlich gut recherchiert? „Der Teufel steckt im Detail“, mit anderen Worten „in den Fußnoten“, was uns die Feuilletons und Talkshows nach der Recherche von Fischer-Lescano, Bremen, zur Zeit täglich vorführen.
Der Rezensent prüfte Details des im oben gerühmten Buch unter
Profiteure
erschienenen Artikels von
Pavla Albrecht:
Prof. Dr. Heinrich Eymer – eine ärztliche Karriere zwischen Ehrgeiz, Eugenik und Nationalsozialismus.
Die Autorin skizziert in ihrem Artikel das Verfahren der Berufung Eymers nach München als Vorgriff auf die zu erwartende Zwangssterilisierung, erwähnt aber nicht, daß die von der Fakultät favorisierten Kollegen zu der Zeit – anders als Eymer – bereits Mitglieder der NSDAP waren und Eugenik öffentlich propagiert hatten. (Seite 298 – 300) Sie behandelt, anders als die Bundesregierung noch in den fünfziger Jahren, die Zwangssterilisation in der NS-Zeit als ein ungesühntes Verbrechen auch von Heinrich Eymer (Seite 300 –303), und bezeichnet ihn fälschlich als „Mitglied des Sachverständigenbeirats für Bevölkerungs- und Rassenpolitik“. Sie geht auf seine „Entnazifizierung“, also auf seine Spruchkammerverfahren ein, ohne die weitgehende Entlastung Eymers durch den Spruch der Berufungskammer angemessen zu berücksichtigen. (Seite 303 – 308). Im abschließenden Kapitel „Nachkriegszeit – eine Karriere setzt sich unbeschädigt fort“ (Seite 308 – 309), geht es um arbeitsrechtliche Maßnahmen der Militärregierung und um die erneute Berufung Eymers auf den Münchener Lehrstuhl für Frauenheilkunde. Die Autorin vermutet hinter diesen Vorgängen das Wirken von Reinhard Demoll (Bayerische Heimat- und Königspartei, 1.10.45 – 30.04.46 Leiter des Referats für die Universitäten im Bayerischen Staatsministerium für Erziehung und Kultus) und von sinistrem Netzwerk, von dem damals H. Geßner sprach, der bald darauf in die sowjetische Besatzungszone / DDR wechselte.
Herbert Geßner erklärte am 16.06.46 im Radio Eymers Klinik zum „Sammelpunkt nazistisch-alldeutsch-militaristisch-deutsch-nationaler-antisemitischer Kreise von ehedem, d. h. jener Kreise, die Hitler und dem Nazistaat im Jahre 1932 – 33 den Boden bereiteten und ihn protegierten und unterstützten.“ Die Autorin nahm diese Äußerung für bare Münze (Seite 304) und beachtete nicht, daß der Kultusminister Franz Fendt (SPD) am 17.06.46 im Brief an den Innenminister Josef Seifried (SPD), ebenso wie die Berufungsinstanz der Spruchkammer in ihrem Spruch vom 17.12. 1947, die Behauptung Geßners ad absurdum führten, schlicht deswegen, weil zu der Zeit nicht Eymer, der nur kommissarische Direktor der Klinik, sondern die US-Militärregierung für das Personal der Klinik zuständig und verantwortlich war.
Außerdem hatte Fendt am 17.06.46 im Brief an das Ministerium für Sonderaufgaben, Minister Heinrich Schmitt (KPD), die „Presse- und Radioangriffe“, also die Unterstellungen, Eymer und oder „seine Kreise“ seien nazistisch, …, antisemitisch“ als Teil des Kampfes um die Stelle des Direktors der I. Unv. –Frauenklinik bezeichnet. Und er hatte damit Recht.
Der Beweis dafür, daß die Denunziation angeblicher nationalsozialistischer, militaristischer, antisemitischer Tendenzen an der Münchener Universitätsfrauenklinik tatsächlich, wie Fendt schrieb, als Teil des Kampfes um die Stelle des Direktors der I. Unv. –Frauenklinik verstanden werden muß und nicht, wie die Autorin vorgibt, als Ausdruck der Sorge um das demokratische Bayern, erfordert, wie unten gezeigt wird, kleinteiliges Arbeiten am Text der Quellen.
Im Absatz „Der Spruchkammerprozeß …“, schreibt die Autorin auf Seite 307 „Da das Festhalten an den politisch belasteten Mitarbeitern42 von Eymer immer wieder mit dem enormen Mangel an Ärzten begründet wurde, erscheint es mehr als verwunderlich, warum gleichzeitig den jüdischen Medizinern jegliche ärztliche Tätigkeit an der Klinik untersagt blieb43
- 42Als Beispiel seien hier nur einige von Eymers „Protegés“ aufgegriffen, wie Dr. Wilhelm Stepp … Verwandter SS-Gruppenführer und krimineller Richter …. Oberschwester Frau Henriette von Schirach … Ehefrau des Reichsjugendführers … Walter Dr. Rech …mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Eisernen Kreuz … ließ sich von seiner ersten Frau, die Jüdin war, aus Rassegründen 1934 scheiden, woraufhin die Frau und die gemeinsame Tochter ins Kz kamen.
- 43StAM SpkA K 382: Prof. Eymer, Heinrich: eidesstattliche Erklärungen von Dr. Heller, Dr. Koerting und Dr. Tremel.
Es folgt ein appellativer Text über die jämmerlichen Verhältnisse, in denen Eymer seine jüdischen Kollegen vegetieren ließ „die Benachteiligung der Menschen, die Jahre in Konzentrationslagern verbracht und z. T. die komplette Familie verloren hatten“ wird von der Autorin beschworen und als eine „im besten Fall eine geradezu geschmacklose Taktlosigkeit“ Eymers klassifiziert.
Die Autorin hat in ihrer Anmerkung 42 ihre Vorwürfe gegen Eymer konkretisiert, deswegen konnten diese Vorwürfe geprüft werden. Sie lassen jeden ratlos, der die Münchener medizinische Fakultät auch nur halbwegs kennt: Otto Wilhelm Stepp, war Ordinarius für Innere Medizin in Jena und Breslau, bevor er 1934 nach München berufen wurde. Weder das noch die Eigenschaften seiner Verwandtschaft können Eymer angelastet werden. Frau Henriette von Schirach war – soweit der Rezensent die Überlieferung kennt – in Eymers Klinik weder als Oberschwester noch in einer anderen Funktion angestellt. Walther Rech war in jenen Jahren mit Zustimmung der Besatzungsmacht kom. Klinikdirektor in Erlangen, vor- und nachher tatsächlich Eymers Oberarzt, seine Kriegsauszeichnungen sind aber für das Thema der Autorin ohne Belang; die Gründe für seine Scheidung konnte ich nicht erfahren, die Kausalbeziehung „woraufhin“ ist auch aus den Referenzen der Autorin nicht ableitbar. Auf ihr diesbezügliches Zitat “StAM SpkA K382“ komme ich unten zurück.
Eine Erklärung der konkreten, aber zunächst unverständlichen Vorwürfe der Autorin könnte der interessierte Leser jedoch in den Akten der Militärregierung finden. Die Akte „Antisemitische Tendenzen“ enthält alle Namen im oben genannten Kontext: Demoll und seine Machenschaften, Heller, Goldberg, Lohmer, die vermeintlich schlecht behandelten Juden, Stepp mit seiner anrüchigen Verwandtschaft, und auch Frau von Schirach wird genannt. Nachdem der vermutlich von Walter Koerting verfaßte und Anfang Mai 1946 der US-Militärregierung zugespielte Bericht „Antisemitische Tendenzen“ übersetzt worden war („Translation No 975“, Intelligence Historical & Reports Branch, Documents & Translation Section) wurde sein Inhalt wiederholt zitiert, z. B. in der Zeitschrift, Trend No 1, 5.06.46, und in Berichten diverser German Informants (v. Otting, Freedman, Sternberg sowie Geßner und Graf; auch das oben genannte Zitat der Autorin „StAM SpkA K382“ steht vermutlich für einen anonymen Zettel mit dem Rech-Extrakt aus „Antisemitische Tendenzen“) und nun auch in dem, wie der SZ-Rezensent meint, gut recherchierten Beitragen der Frau Pavla Albrecht.
Dem ist aber nicht so!
Abgesehen davon, daß der Bericht ab ovo falsch war (was, wie oben berichtet, schon Fendt wußte und der rechtskräftige Spruch der Berufungskammer bestätigte) unterlag der „gut recherchierte“ Beitrag der Frau Albrecht auch noch dem „Stille-Post-Effekt“: Das „faule Ei“, die Akte „Antisemitische Tendenzen“ enthielt tatsächlich den Namen „Stepp“ und verwies auf seine fragwürdige Verwandtschaft, ordnete den Ordinarius aber korrekt der Medizinischen Poliklinik zu und nicht, wie die Autorin, der Eymerschen Frauenklinik. Der Name der „Frau von Schirach“ wurde auch in jener Akte, aber wie folgt erwähnt: „die Oberin der Eymer´schen Klinik, die seinerzeit die hingebende Pflegerin der Frau von Schirach … gewesen ist ..“, was die Autorin offenbar als „die Oberschwester Frau Henriette von Schirach“ verstand. Und auch ihr Beleg angeblich dubioser Vorkommnisse im Spruchkammer- und Berufungsverfahren – „Achtung Fußnote!“ – Nr. 35, mißlingt ihr: sie verweist auf Stefan Wiecki und der – auf den Rezensenten, der aber auch an jener Stelle genau dem widerspricht, was Albrecht zu belegen meint.
Und das nennen Historiker „Bewältigung der Vergangenheit“?
„Um die gewünschten Ziele zu erreichen fühlte sich ICD [also der Geldgeber der oben genannten German Informants] nicht zwingend an objektive Darstellung gebunden.“ heißt es in Wikipedia. Das sollten auch Historikerinnen wissen.
Fazit
Kenntnisreiche Leser finden im Artikel von Frau Albrecht zahlreiche Beispiele manipulativer Geschichtsschreibung, von denen einige oben aufgeführt sind. Unbefangenen Lesern vermittelt der flüssig geschriebene Text ein falsches Bild von der ideen-, mentalitäts- und rechtsgeschichtlichen Entwicklung der Eugenik, von der Persönlichkeit Heinrich Eymer und von der Realität der Entnazifizierung in Bayern.