Stöckchen-Hiebe. Kindheit in Deutschland 1914 – 1933
Inhalt
Erschienen in der Reihe Zeitgut ist dieser Sammelband von Geschichten, herausgegeben von Jürgen Kleindienst. Dem Verleger geht es um das Bewahren von „oral history“.
Nach einem umfangreichen chronologischen Überblick über das Zeitgeschehen erklärt er in einem knappen Vorwort, dass es sich nicht um ein klassisches Geschichtsbuch handelt, sondern Alltag und Leben der „kleinen Leute“ beschreiben soll. Leider erklärt er nicht, warum er den Titel „Stöckchenhiebe“ gewählt hat, denn diese spielen in den Erinnerungen so gut wie keine Rolle.
Der Band enthält sehr unterschiedliche Lebenserinnerungen, erzählt von Zeitzeugen, die zwischen 1914 und 1933 in Deutschland aufgewachsen sind. Überwiegend in ländlichen Regionen, aber auch in Städten wie Hamburg, Hannover, Berlin.
Nach den ersten vier Kapiteln gewann ich den Eindruck: Je weiter zurückliegend die Zeit, desto schöner die Erinnerung an sie.
Dann wird in dem Kapitel „Der Zeppelin kommt“ erstmals der Bezug zum Thema Erziehung in der Schule hergestellt, um gleich danach in „Mutters Großkampftage“ die mühseligen Prozeduren des Waschens, Plättens und Bügelns um 1920 in den Mittelpunkt zu rücken.
So sprechen auch viele Geschichten, sofern sie nicht aus wirklich privilegierten Haushalten erzählen, von der früh notwendigen Mithilfe der Kinder bei den Arbeiten in Haus, Hof und Familie, vor allem in den Zeiten des Mangels am Ende des Ersten Weltkriegs und während der Inflation.
In zahlreichen Fotografien, zumeist aus dem Privatbesitz der Autoren, ist – im Vergleich zu heute – oft Ernsthaftigkeit in den Kindergesichtern zu sehen, ein frühes Erwachsenwerden.
„Ich kaufe ein bei Zickelbein“
Das Buch hat den Charakter einer Sammlung von Einzelstücken. Jedes Kapitel steht für sich, hat seinen Platz in der Chronologie, doch keinen weiteren Bezug zu Vorgänger oder Nachfolger. Mithilfe des vorgeschalteten Ortsregisters kann der Leser direkt bei dem Kapitel einsteigen, zu dem er regional seinen eigenen Bezug findet.
Mein liebstes Kapitel ist „Ich kaufe ein bei Zickelbein“: Eine „Berliner Pflanze“ erinnert sich an ihre Kindertage in Berlin-Friedrichshain in den frühen zwanziger Jahren.
Als Dreieinhalbjährige wird sie von der Mutter zum Einholen geschickt. In der familiären Atmosphäre zwischen Händlern und Kunden in der Pintschstraße war das damals noch kein Problem.
Sie erlebt eine Sommerfreundschaft mit der Nichte der Kneipen-„Mieze“ aus Hamburg und geht 1925 mit der Großmutter über die Warschauer Brücke zur „Stempelgeldstelle“.
Fazit
Als Lektüre bedingt empfehlenswert, aber sicher sehr geeignet zum Vorlesen im Altenheim (siehe Webseite des Verlages). Als jüngerer Leser wartet man auf die interessanten Passagen mitunter recht lang, dann aber gewinnt man Einblicke, wie sehr sich unsere Lebenswelt in den vergangenen hundert Jahren verändert hat.
Von der Pferdekutsche zum Automobil, von der Kolonialwarenhandlung zum Supermarkt, und von der Handarbeit am Waschbrett zur Maschinenwäsche.